2 - 2018
Inhalt
Gesichter des Weins in Deutschland
Emanzipation alla siciliana
Die vergessene Hälfte des Himmels
Gemischte Sätze
Die Beaujolais-Story
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Editorial
Was Frauen und Marketing gemeinsam haben? Nun, davon abgesehen, dass viele Frauen im Marketing tätig sind, vor allem, dass sie die Schwerpunktthemen dieser Ausgabe von enos bilden. Die Frauen in diesem Heft, das sind zunächst die beiden Weinmacherinnen Mary Penfold und Dolors Sala Vivé, zwei vergessene Stars der Weinbaugeschichte. Beide waren die treibenden Kräfte hinter dem Aufbau der Kellereien ihrer Familien, und doch erinnert sich die Welt lieber an ihre Männer, die mit dem Weinmachen herzlich wenig zu tun hatten. Carsten M. Stammen hat für enos die Archive gewälzt und erzählt die beiden außergewöhnlichen Lebensgeschichten.
Dann sind da die Frauen aus der südsizilianischen Weinbaugemeinde Menfi. enos-Autorin Gabriella Gallozzi besuchte sie und erfuhr, wie die Marketingidee einer Genossenschaftskellerei – jetzt wissen Sie, wo die Verbindung zwischen den beiden Themen versteckt ist – einen tiefgreifenden Wandel im sozialen Gefüge es Städtchens zur Folge hatte. Eine Art Emanzipation „alla siciliana“, könnte man sagen, orchestriert natürlich von einer Frau..
Und noch zwei weitere unserer Geschichten sind dem Marketing gewidmet: die erste, die Beaujolais-Story einem Genie, das das Schicksal des Weins seiner Region untrennbar mit einem Event verknüpfte und damit erst einen gigantischen Erfolg, dann aber auch einen ebenso gigantischen Niedergang generierte. Die zweite ist das Resümee von Interviews mit Protagonisten des spanischen Rioja-Gebiets – Interviews, in denen Schwächen und Stärken des Weinmarketings deutlich sichtbar wurden..
Die Bildreportage dieses Hefts ist den Gesichtern des Weins in Deutschland gewidmet. Dazu hatten wir Weinfreunde und Profis im In- und Ausland gefragt, welches ihrer Meinung nach die repräsentativsten Namen seien. Die Antworten auf unsere Umfrage waren teils zu erwarten, teils wirklich überraschend, vor allem aber klaffte zwischen den Antworten aus dem In- und dem Ausland ein himmelweiter Unterschied. Die „Nominierten“ dann zu fotografieren – was in einem Fall sogar unmöglich war – und von sechs Autoren porträtieren zu lassen, war die vielleicht komplizierteste logistische Leistung, die wir in den vier Jahren unserer bisherigen Arbeit zu bewältigen hatten. In diesem Heft finden Sie die ersten beiden Dutzend Portraits..
Besonders hinweisen möchte ich an dieser Stelle auf die Resultate unserer Wein-Challenges, die wir seit einigen Jahren in den Wintermonaten durchführen. Die besten Weine finden Sie in der Rubrik „Flüssige Träume“ dieses Hefts, die vollständigen Resultate wie immer unter www.enos-wein.de.
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Nachgehakt
Rebschnitt gegen Alzheimer?
Nein, neu ist der sogenannte „sanfte Rebschnitt“ nicht wirklich. Er wurde bereits vor einigen Jahrzehnten im Friaul entwickelt und besteht darin, bei der Winterarbeit nur junges Holz anzuschneiden und älteres intakt zu lassen – so wie man es traditionell schon bei der vor allem im Süden üblichen Busch- oder Bechererziehung der Rebstöcke machte. Durch Anpassen dieser Schnittmethode für moderne, an Spalieren wachsende Rebstöcke ist es möglich geworden, auch dort den Saftfluss in der Pflanze möglichst wenig zu stören. Beim gewohnten Anschnitt der Stöcke trocknen die Schnittwunden nämlich in der Regel ein, da Weinreben im Unterschied zu anderen Pflanzen keinen schützenden Kallus über Schnittwunden bilden. Vor allem gegenden Befall der Reben mit Pilzkrankheiten wie Esca und Eutypiose, die sich in den letzten Jahrzehnten rapide verbreitet haben, soll die neue Schnitttechnik schützen.
So schön, so gut. Was das Ganze aber, wie es die jüngst von der PR-Agentur eines Weinguts verschickte Information wissen will, mit Alzheimerzu tun hat („Alzheimer-Prävention für Reben“, „Gehirnjogging für Weinberge“), wissen wohl nur deren Urheber. Sie erklären ihren missglückten Vergleich mit der Behauptung, durch diesen „sanften Schnitt“ vor Krankheiten geschützte Pflanzen erreichten ein höheres Alter und brächten dann Weine hervor, die „die Besonderheiten der Böden“, das „Terroir“ geschmacklich besser ausdrückten. Dass „Terroir“ weit mehr ist als nur der Einfluss von Weinbergsböden auf den Wein, haben wir auf diesen Seiten schon mehrfach betont. Das Bild hinkt aber vor allem deshalb, weil, wie Wikipedia weiß, von „Alzheimer … fast ausschließlich Menschen höheren Alters betroffen“ sind, deren weitere Lebenserwartung dann durchaus noch 20 Jahre betragen kann, die also ohne weiteres sehr alt werden können. „Krebsprävention für Reben“ wäre vielleicht stimmiger gewesen, aber das klang als PR-Slogan wohl nicht so knackig.
Nachhaltiges Glyphosat
Wenn es darum geht, trendige Schlagworte in die Welt zu setzen und für ihr Weinmarketing zu nutzen, scheinen die Österreicher immer ganz vorne mit dabei. Jüngstes Beispiel: die Zertifizierung von Weinen bzw. ihren Erzeugerbetrieben als „nachhaltig“. Dafür wurde 2015 eigens ein neues Siegel eingeführt, das insbesondere die Exportchancen österreichischer Weine verbessern soll. „‚Nachhaltig Austria‘ ist das Ergebnis mehrjähriger wissenschaftlicher Arbeit. Gemeinsam mit Fachexperten entwickelte der Österreichische Weinbauverband ein durchdachtes Zertifizierungssystem, um die nachhaltige Arbeitsweise heimischer Weinbaubetriebe zu messen. Zertifizierte Winzer habeneinen zweistufigen Prozess durchlaufen, bei dem sie auch durch ein externes Audit geprüft wurden“, heißt es dazu auf der eigens dafür eigens eingerichteten Internetseite. Was dieses Siegel wirklich bedeutet, und vor allem, wie ernst es mit der zertifizierten „Nachhaltigkeit“ gemeint ist, wird deutlich, wenn man ein wenig dort stöbert. Da wimmelt es nur so von „anstreben“, „erwägen“, „vermeiden“ und „bevorzugen“. Biologischer oder gar biodynamischer Weinbau werden mit keiner Silbe gefordert, Spritz- oder Düngemittel sollen natürlich nur „bedarfsorientiert“ eingesetzt und die Verwendung organischer Dünger „erwogen“ werden. Man darf sich das wohl dann so vorstellen: „Benutzen Sie organische Dünger?“ „Ich erwäge es.“ „Sie verwenden aber wohl Glyphosat?“ „Ja, warum?“ „Kein Problem, alles ok.“ Prüfung bestanden. Nicht verwundern muss da die Tatsache, dass auch nach drei Jahren gerade mal fünf Dutzend der insgesamt rund 20.000 Weinbaubetriebe des Landes auf der Liste der zertifizierten Erzeugerauftauchen; von den wichtigsten Bio- oder Biodyn-Winzern gibt es da ohnehin keine Spur. Aber vielleicht sind die den Zertifizierern ja auch einfach nicht nachhaltig genug. Weil sie kein Glyphosat verwenden wollen.
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Ortstermin
Steinerne Sonne
von Pierre Thomas
Ob es an der spektakulären Kulisse der Weinbergterrassen des Lavaux am Genfer See lag? An den steinernen Terrassen, auf denen Reben wachsen, soweit das Auge reicht? Oder vielleicht doch an den exzellenten Weißweinen aus der Rebsorte Chasselas, den die Deutschen Gutedel nennen? Jedenfalls trafen sich in der „Auberge de l‘Onde“ von Saint Saphorin vor ziemlich genau 100 Jahren drei der führenden Kulturschaffenden ihrer Zeit und tüftelten an einem Musiktheaterstück, das unter dem Namen „Histoire du soldat“, die Geschichte vom Soldaten, berühmt werden sollte: der Komponist Igor Strawinsky, der Autor Charles-Ferdinand Ramuz und der Begründer des „Orchestre de la Suisse romande“, Ernest Ansermet. Für Strawinsky war die Gegend keine unbekannte, denn unweit von hier hatte er Jahre zuvor bereits sein Ballet „Le Sacre du Printemps“ komponiert. Die Ufer des Genfer Sees zwischen Lausanne im Westen und Vevey im Osten gehören mit Sicherheit zu den faszinierendsten Weinlandschaften der Welt. Hier profitieren die Reben von dem, was die Waadtländer als ihre „drei Sonnen“ bezeichnen: Es sind der strahlende Stern am Himmel, der See, der dessen Licht zurückwirft, und die Mauern, die beider gespeicherte Hitze auch dann abgeben, wenn es kühler geworden ist. Auf den insgesamt 600 Hektar bewirtschaften sage und schreibe 1.800 Winzer ihre Kleinstparzellen –eine mühevolle, aber lohnende Arbeit, urteilt man nach der Qualität der Weine, vor allem, wenn sie die Grand-Cru-Bezeichnungen Dézaley oder Calamin tragen. Dass die Terrassen des Lavaux bereits seit 2007 in den Listen des UNESCO-Welterbes geführt werden, ist da fast schon eine Selbstverständlichkeit.
Kuno der Arme
Nein, viel Glück sollte dem Schwaben Kuno von Pfullingen die Ernennung zum Erzbischof von Trier nicht bringen. Sein Onkel, der Kölner Erzbischof Anno II. hatte ihn im Jahre 1066 bei Heinrich IV. für den Posten „durchgeboxt“, was aber weder in Trier selbst noch im fernen Vatikan auf große Gegenliebe traf. Zu unbeliebt war Kunos Förderer Anno. So kam es, wie es kommen musste. Man gab Kuno bei seiner Reise nach Trier zwar bewaffnetes Geleit, dennoch aber konnte der Trierer Burggraf Theoderich das Nachtlager, das die Truppe bei Bitburg aufgeschlagen hatte, überfallen und Kuno gefangen nehmen. Auf der Ürziger Burg wurde der Entführte anschließend zwei Wochen lang festgehalten, dann erhielten seine Wachen den Auftrag, ihn zu töten. Drei Mal stürzten die Mörder ihn von den Burgfelsen in die Tiefe, jedes Mal aber überlebte er. Schließlich machten sie kurzen Prozess, erschlugen und enthaupteten ihn. Erst spät, im Jahre 1866, erfuhr der arme Erzbischof zumindest ein wenig Wiedergutmachung in Form einer Holzstatue, die am Ort seiner Ermordung aufgestellt wurde. An der Stelle der einstigen Burg, von der nur noch Restmauern erhalten sind, wurde später die berühmte Ürziger Sonnenuhr angebracht, die heute als älteste des Moseltals gilt. Allein, dem Winzer, der die Trauben der umgebenden Weinberge keltert, nützt diese Ehre nicht viel, denn anders als bei anderen Sonnenuhren des Moseltals wurde dieser Lage mit dem Weingesetz von 1971 der Name entzogen; sie wurde in den größeren Würzgarten integriert. Dass heute ausgerechnet in Ürzig die heftig umstrittene Moselhochbrücke hochgezogen wird … eine späte Rache für die Ermordung des armen Kunos?
Balkonträume
Hätte man die Jahre gezählt, es wäre etwa anno 30.000 oder 40.000 der Traumzeit gewesen, als eine Handvoll Aborigines vom Stamme der Darug im Gebiet um den heutigen Sydneyer Vorort Paramatta eine befremdliche Entdeckung machten: Gigantische Vögel mit dunklem Körper und hellem Gefieder glitten über das Meer heran und dümpelten bald in den flachen Wassern der Bucht. Den Vögeln entstiegen menschliche Wesen – oder waren es Geister? – bleich wie der Tod. Waren das Verstorbene, zurückgekehrt von den Inseln über dem Meer? Wie wir heute wissen, war diese Begegnung des Jahres 1770 der Auftakt zu einer nicht in jeder Hinsicht rühmlichen, meist grausamen Begegnung zwischen Europäern und Eingeborenen. Aber sie war auch der Auftakt zum Weinbau in einem der wichtigsten Weinbauländer der heutigen Zeit. Die ersten Reben wurden 1791 dort gesetzt, wo heute Sydneys Macquarie Street am Botanischen Garten vorbei zur berühmten Sydney Opera führt – Parramatta, Petersham, St. Marys, Gladesville, Glebe und andere Ortschaften folgten. Übrig war von diesem Weinbauerbe nichts mehr; die Reben sukzessive dem Städtebau gewichen. Bis dann im vergangenen Jahr der online-Weinhändler Cracka Wines mit einem Projekt an die Öffentlichkeit trat, dessen Ziel ist, Sydney in den größten urbanen Weinberg der Welt zu verwandeln. Zu diesem Zweck lässt Cracka kostenlos Pinot- und Rieslingreben verteilen, die dann von den Empfängern irgendwo in der Stadt ausgepflanzt werden können: auf Balkonen und Fensterbänken, in Dachgärten oder Hinterhöfen. Einzige Vorgabe: Die Stöcke sollten an sonnigen Stellen in fruchtbarer Erde stehen und anschließend gut gepflegt werden. Ob die Stöcke jemals Trauben tragen, ob diese dann vielleicht sogar zu Wein gekeltert werden, steht in den Sternen. Ein ähnliches Projekt gibt es übrigens seit 2013 auch im kalifornischen San Francisco.
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Gesichter des Weins in Deutschland (Teil 1)
mit Texten von Felix Bodmann, Markus Budai, Felix Eschenauer, Uwe Kauss, André Liebe, Carsten M. Stammen und Eckhard Supp
Fotos von Andreas Durst und Eckhard Supp
Ihre Namen, ihre Weine kennt man, aber die Gesichter hinter diesen Weinen, die Protagonisten, die dem deutschen Weinbau und Weinhandel ein menschliches Antlitz verleihen, sind vielen unbekannt. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Menschen der Weinbranche in Deutschland einmal in Bild und Text vorzustellen.
Früher hätte man in einer solchen Zusammenstellung Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau vom Rheingauer Schloss Vollrads nennen müssen, der als unermüdlicher Botschafter des deutschen Weinbaus in vielen Ländern Anerkennung genoss. Auch der verstorbene Weinkritiker Mario Scheuermann, einer der Initiatoren der Definition großer Lagen in Deutschland, hätte mit Sicherheit seinen Platz gefunden, ebenso der ehemalige Chef der deutschen Weinhandelsgruppe Hawesko, Alexander Margaritoff.
Aber dann wäre die Auswahl der hier gezeichneten Portraits zu einer fast unmöglichen Aufgabe geworden. Wo hätten wir die Grenze gezogen? Zur Jahrtausendwende? Im 20. Jahrhundert? Noch früher? Oder doch später? Um einer willkürlichen Entscheidung aus dem Wege zu gehen, entschieden wir uns, in dieser Serie nur lebende Vertreter des Weins in Deutschland vorzustellen, und machten dazu schon vor einiger Zeit eine Umfrage in den sozialen Medien sowie bei Weinjournalisten aus aller Herren Ländern.
Klar, in den Antworten fanden sich vor allem die „üblichen Verdächtigen“: Egon Müller, Manfred Prüm, Ernst Loosen, Wilhelm Weil, Klaus-Peter Keller, und, und, und ... Aber, und das war das Echo, das wir vor allem aus dem Ausland bekamen, auch andere Namen haben das Bild des deutschen Weins geprägt. Peter Winter etwa, der schon vor Jahrzehnten deutsche Weine per Direktverkauf in der ganzen Welt vertrieb. Oder Monika Christmann, die in den letzten Jahren als Chefin der Internationalen Weinorganisation in Paris fungierte und damit von vielen als eine der mächtigsten Frauen der Weinwelt überhaupt betrachtet wurde.
Letztlich kristallisierten sich dann etwa 50 Namen heraus, von denen wir überzeugt sind, dass sie wirklich als Repräsentanten der Weinbranche gelten können. Unter ihnen Menschen, die, wie der aktuelle Mehrheitseigner des Handelsriesen Hawesko, Detlev Meyer, nur selten oder gar nicht die Öffentlichkeit suchen, sowie solche, deren Weine zwar schon seit längerem zur Spitze gehören, die aber medial deutlich leiser daherkommen als manch anderer ihrer Kollegen. Hier sind die ersten beiden Dutzend Namen.
Reinhard Löwenstein aus Winningen an der Mosel (vorhergehende Doppelseite) gilt vielen in der Szene als der Philosoph unter Deutschlands Winzern; für andere dagegen ist er eher das „enfant terrible“. Seinen Kellerneubau hat er mit einem Gedicht Pablo Nerudas verziert, und ihm in Diskussionen etwa über das Konzept „Terroir“ zu folgen, ist noch anspruchsvoller, als seine eigenwilligen, nicht wirklich mainstreamigen Rieslinge der Spitzenlagen Uhlen und Röttgen zu genießen. Wahrscheinlich braucht es ab und an der versammelten Anstrengung von Ehefrau Cornelia und Tochter Sarah, um ihn am theoretischen Abheben zu hindern. Richtig stolz wird Löwenstein übrigens, wenn er seine eigenhändig gemauerten Terrassen im Röttgen präsentieren kann.
Großes Selbstbewusstsein kann zum Problem werden. Im Zaum hält man es mit Leidenschaft bis hin zur Besessenheit für ein Thema, bei dem die Perfektion quasi unerreichbar ist. Willkommen in der Welt von Markus Molitor! Nicht dass der Wehlener Winzer keine perfekten Weine machen würde – 100-Punkte-Auszeichnungen heimst er regelmäßig ein. Jedoch hat er sich dem von vielen verpönten Prädikatssystem verschrieben. Er keltert trockene und süße Kabinette, Spät- und Auslesen mit und ohne Sterne und liebt dabei jede einzelne seiner vielen Spitzenlagen an Mittelmosel und Saar. Deshalb umfasst sein Sortiment regelmäßig 60 Etiketten. Klar, dass der Perfektionist Molitor da immer wieder Weine findet, an denen man beim nächsten Jahrgang noch etwas verbessern könnte.
Rechtsanwalt ist Steffen Christmann aus Gimmeldingen eigentlich, aber auch biodynamisch arbeitender Winzer, Präsident des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP), Vater von vier Kindern, Kommunalpolitiker, Synodaler der evangelischen Landeskirche, Mitglied des Johanniterordens und Chef des örtlichen Weinbauvereins. Christmann fühlt wie ein Winzer, denkt aber strukturiert wie ein Jurist. Auch beim Wein, und nicht zufällig gilt er deshalb als Fachmann für Weinrecht. Herkunft ist nicht nur der Kern der von Christmann weiterentwickelten VDP-Klassifikation, sondern auch sein persönliches Gravitationssystem und der gemeinsame Nenner seiner Weine – pure Pfalz.
Der wahrscheinlich beliebteste Moderator des deutschen Fernsehens hat sich nicht, wie andere Promis, einfach mal ein Weingut gekauft, weil es gerade „in“ war, sondern mit dem Kanzemer Saarweingut von Othegraven einen Besitz aus der eigenen Verwandtschaft übernommen, der zerschlagen zu werden drohte. Obwohl Günther Jauch schon als Kind häufig auf von Othegraven zu Besuch war, gibt er sich bescheiden: Vom Wein verstehe er nicht wirklich viel, und die eigentliche Expertin sei seine Frau Thea. Im Gespräch lässt der meist tiefenentspannt wirkende TV-Star allerdings sehr wohl erkennen, dass er als gewiefter Geschäftsmann weiß, wohin er mit seinem Besitz steuert und wie er seine Ziele erreichen kann.
Als Chef einer der größten Kellereien Europas muss man nicht aus einer Winzerfamilie stammen. Peter Schuster, Vorstand des Badischen Winzerkellers in Breisach am Kaiserstuhl jedenfalls kommt aus der Lebensmittelbranche, nicht aus dem Weinbau. Große Zahlen dürfte er deshalb, als er den Job in der Gebietswinzergenossenschaft antrat, ebenso gewohnt gewesen sein wie die riesigen Dimensionen der Gär- und Lagertanks „seiner“ Kellerei. Obwohl der Job eher was von der Widerspenstigen Zähmung hat – rechts der Weinbau mit seinen Zickigkeiten, links der Handel mit seinen Daumenschrauben –, hat Schuster sich eine gute Portion Humor bewahrt. Und – auch wenn es manchem Weinsnob schwer fällt, es anzuerkennen – sein Keller bringt sogar manch richtig guten Wein in den Handel.
We are family“ können die Ellwangers aus Weinstadt-Großheppach im Remstal mit Sister Sledge oder den Spice Girls singen. Das umso mehr, als seit einigen Jahren nicht nur Vater Bernhard und seine Frau Ingrid, sondern auch die Kinder Yvonne und Sven sowie dessen Frau Melanie zusammen den Betrieb führen. Damit steht das Weingut Ellwanger stellvertretend für unzählige Familienbetriebe, die den deutschen Weinbau prägen. Klar deshalb auch, dass alle mit auf das Gruppenportrait müssen, für das sie fast schon professionell posieren. Schon immer als Erzeuger solider Qualitäten bekannt, ist der Stern der Familie vor allem dank einer Palette sehr guter Rieslinge im letzten Jahrzehnt richtig aufgegangen.
Hendrik Thomas großes Vorbild ist der Amerikaner Gary Vaynerchuck, der amerikanische Marketing-Guru und Weinhändler, der mit seinem Videoblog den Boom des Weinhandels in den sozialen Medien auslöste. Thoma, einst als Master-Sommelier im Restaurant des renommierten Hamburger Hotels Louis C. Jacob tätig und einem breiteren Publikum durch verschiedene TV-Kochsendungen bekannt, betreibt heute einen Online-Weinhandel sowie den Videoblog „Wein am Limit“, in dem er Persönlichkeiten der Weinbranche zu Wort kommen lässt. Sein Fokus als Weinhändler liegt auf außergewöhnlichen, handverlesenen Abfüllungen.
Wenn es heutzutage einen weltweit anerkannten Botschafter des deutschen Rieslings gibt, dann ist dies der Moselaner Ernst F. Loosen. Als Winzer und Weltbürger kann man ihn heute in Oregon oder Washington treffen, wo er ebenfalls Wein macht, morgen in Shanghai und übermorgen in Paris. Als Loosen 1988 das Weingut seiner Familie übernahm, wollte niemand Moselwein. „Lecker Möselchen“, wie er seine Weine mit einer Mischung aus Lebensfreude und Augenzwinkern ankündigt, hatte in Deutschland einen üblen Ruf. Als zuckersüße „Omaweine“ waren selbst Rieslinge aus den besten Steillagen verschrien. Dass ein Kabinett heute wieder etwas gilt, das ist nicht zuletzt Loosen und seinem unermüdlichen Einsatz rund um den Globus zu verdanken.
Werner Näkel, das lässt sich in dieser Absolutheit sagen, ist der Erneuerer des Weinbaus an der Ahr. Mit ihm wurden die Früh- und Spätburgunder, die man seit Jahrhunderten hier kultivierte, trockener, expressiver und eigensinniger. Mit seinem Mut und seinen Erfolgen bereitete er den Weg für nachkommende Winzergenerationen. Sein Vorbild als Quereinsteiger gab anderen Mut, ihren eigenen Stil zu entfalten. Davon profitieren auch seine Töchter: Meike stieg 2005 in den elterlichen Betrieb ein, ihre Schwester Dörte folgte 2008. Unter ihrem Einfluss treten die Eigenheiten der kleinparzellierten Schiefersteillagen heute noch klarer zutage. Und Vater Näkel kann sich voll und ganz seinen Weinprojekten in Portugal und Südafrika widmen.
Horst Kolesch hatte noch nicht lange als Praktikant im Weingut des Würzburger Juliusspitals gearbeitet, da wurde die Stelle des Betriebsleiters frei. Er bewarb sich … und bekam den Job, womit er selbst kaum gerechnet hatte. Seit mehr als 30 Jahren verantwortet Kolesch nun schon den zweitgrößten Weinbaubetrieb Deutschlands, mit seinem gewaltigen Lagenbesitz in ganz Franken unter anderem weltgrößter Silvaner-Erzeuger. Mit kräftiger Stimme und klaren Worten ist Kolesch zu dessen Botschafter geworden. Koleschs Zeithorizont ist eher der von Generationen als von Monaten. Seine ruhigen, präzisen Weine spiegeln dieses Denken.
Peter Winter verkaufte schon deutschen Wein nach Frankreich oder sogar China, als die meisten deutschen Winzer das Wort Export noch ausschließlich aus dem Lexikon kannten. Damals war er Chef des vor seiner Zeit in Verruf geratenen Pieroth’schen Weinhandels, der nach dem Glykolskandal von 1985 in „Wein International Weingüter- und Kellerei-Verwaltung“ umfirmiert hatte. Nach seinem Ausscheiden aus der Gruppe kaufte er 2003 von der Stadt Eltville das VDP- Gut Georg-Müller-Stiftung, aus dem er, nicht zuletzt auch wegen der Kunstausstellungen im Keller, für die seine Frau zuständig ist, eines der Schmuckstücke des Rheingauer Weinbaus machte. Dessen wirtschaftlicher Erfolg ist nicht zuletzt unzähligen Verkaufsreisen rund um die Welt geschuldet, womit der Kreis der Winter’schen Aktivitäten wieder geschlossen wäre.
Im Endinger Weingut Knab ist die Kultur zu Hause. Und zwar nicht nur in Form gekaufter Gemälde an den Wänden oder gelegentlicher Veranstaltungen für die Kunden, sondern in Form tagtäglich praktizierter Kunst. Thomas Rinkers Frau Regina ist erfolgreiche Malerin, und Rinker selbst kann seinen Weinen mit dem Horn den durchaus wohlklingenden Marsch blasen. Noch wohler als im Keller fühlt sich der Winzer – Lieblingssorte Weißburgunder, beste Gewächse Spätburgunder – wohl nur, wenn er Besucher mit dem urigen Unimog durch seine Kaiserstühler Steillagen rütteln kann.
Als Joachim Heger 1986 das „Weinhaus Heger“ gründete und die dort erzeugten Weine preislich unterhalb der Produkte des familieneigenen Weinguts positionierte, war das eine kleine Revolution auf dem deutschen Weinmarkt. Das Négociant-Prinzip, das Heger im Burgund kennengelernt hatte, stärkte nicht nur die lokalen Traubenerzeuger, sondern ließ ihm selbst den nötigen Freiraum, um sich mit seiner „Domaine“ auf Spitzenweine zu konzentrieren. Die Prunkstücke Hegers und seiner Frau Silvia stammen aus dem Ihringer Winklerberg mit seinen vulkanischen Böden unter im Sommer ausufernder Hitze. Die Burgunder aus dieser Steillage gehören stets zu den besten Deutschlands.
Er ist ein Mann klarer Worte und lässt keinen Zweifel daran, dass er sowohl Schloss- als auch Gutsherr ist. Als Winzer und Vizepräsident des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) gilt Armin Diel seit über 30 Jahren als maßgeblicher Protagonist des deutschen Weinbaus. Dass seine langjährige Tätigkeit als Chefredakteur eines Weinführers aufgrund der damit verbundenen Interessenkonflikte Zündstoff barg, wurde ihm erst klar, nachdem er sich von diesem Posten zurückgezogen hatte. Seit gut zehn Jahren leitet Diel das Familienweingut in Burg Layen gemeinsam mit Tochter Caroline, die die starke Persönlichkeit ihres Vaters geerbt hat.
Für Stephan Reinhardt gab es nur eines: Zugreifen, als ihm die Bosse des Parker’schen Wine Advocate anboten, Weine aus Deutschland, Österreich und Teilen Frankreichs für sie zu verkosten. Sein Abenteuer in der Chefredaktion der Zeitschrift Vinum war gerade auf reichlich unerfreuliche Weise zu Ende gegangen. Und so türmen sich in den Fluren seines Domizils seither Dutzende Weinkisten, deren Inhalt darauf wartet, vom strengen Gaumen des erfahrenen Verkosters gelobt zu werden. Klar, für einen einstigen Studenten der Theaterwissenschaften, der in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung zur BILDREPORTAGE Weinschreiberei fand, könnte Journalismus vielfältiger aussehen, als Verkostungsnotizen zu verfassen. Aber in der Weinbranche, in der sich der Fünfzigjährige seit zwei Jahrzehnten tummelt, zählt sein Job zu den prestigeträchtigsten überhaupt.
Ursprünglich hatte Stuart Pigott Malerei und Kunstgeschichte studiert, machte dann aber seine während des Studiums erwachte Leidenschaft für den Wein zum Hauptberuf. Seit den 1980er Jahren ist der Brite mit der auffälligen Vorliebe für Vivienne-Westwood-Kleidung als Journalist und Weinkritiker tätig. Nach einem langen Zwischenstopp an der Mosel lebt Pigott inzwischen in Berlin und New York und gilt als einer der besten Kenner des deutschen Weins, insbesondere des geliebten Moselrieslings. Unkonventionell wie sein Äußeres und der Schreibstil, sind auch seine Ansichten über das Lieblingsthema. (Foto: imageBROKER / Alamy Stock Photo)
Als Theresa Breuer in die übergroßen Fußstapfen ihres 2004 plötzlich verstorbenen Vaters Bernhard treten musste, war sie gerade 20 Jahre alt. Seitdem hat sie mit beeindruckender Zuverlässigkeit einige der größten deutschen Rieslinge erzeugt. Wie sie das schafft? Mit gesundem Vertrauen in ihre Mitarbeiter, dem Wissen, auf die besten Parzellen im Rüdesheimer Berg und auf dem Rauenthaler Nonnenberg zurückgreifen zu können sowie einem Qualitätsbewusstsein, das in seiner Konsequenz kaum Spielräume zulässt. Mit tiefem Ernst, großer Freundlichkeit und – wie sie selbst sagt – „ein wenig auch mit Hilfe des Zufalls“ keltert Breuer Weine, die gleichermaßen vertraut wie beeindruckend zukunftsweisend wirken.
Nachdenken muss der Durbacher Alexander Laible nicht lange, wenn er gefragt wird, welches sein Lieblingsort für eine Fotoaufnahme ist. Mitkommen, winkt er und ist auch schon mit Besen und Bürste in einem seiner Stahltanks verschwunden. Aus denen zaubert er bereits seit Jahren in schöner Regelmäßigkeit die besten Rieslinge Badens. Weine, die auch den Vergleich mit Gewächsen aus rieslinglastigeren Anbaugebieten nicht scheuen müssen.
Noch ein paar Monate, dann endet die Amtszeit von Monika Christmann an der Spitze der OIV, der Organisation Internationale de la Vigne, der mit 47 Mitgliedsstaaten wichtigsten Weinbauorganisation der Welt. Es ist vor allem der Kontakt mit vielen unterschiedlichen Menschen, der Christmann fasziniert. Vermissen wird sie den Job auch aus einem anderen Grund: „Schließlich bekomme ich überall, wo hin hinkomme, hervorragenden Wein zu trinken.“ Ihre ebenso zupackende wie humorvolle Art hat ihr in der Weinwelt den Beinamen „Madam Germany“ eingetragen. Nach dem Studium der Getränketechnologie und Önologie wurde sie zur Leiterin des Fachgebietes Kellerwirtschaft an der Hochschule im Rheingauer Geisenheim ernannt. Dieser Aufgabe wird sie sich nach dem Ende ihrer Präsidentschaft wieder voll und ganz widmen.
Der kürzeste Weg ist immer der direkte, lautet ein Gesetz der Geometrie. Paul Fürst hat bewiesen, dass Weinbau und Geometrie nur wenig gemein haben, denn sein Weg an die Spitze des fränkischen Weinbaus führte zwar einerseits steil nach oben, machte aber gleichzeitig einen großen Bogen – um die regionale Leitsorte Silvaner. Der wächst in Fürsts Weinbergen zwar auch, gedeiht aber zu nicht mehr als Ortsweinqualität. Paul Fürst ist ein akribischer Arbeiter, der wenig Aufhebens um seine Person macht. Nicht einmal seine Spät- und Frühburgunder preist er großartig an, doch die finden auch ohne das Gehör. Und zwar trotz ihrer Herkunft aus einem vermeintlich auch für Spitzenrote ungeeigneten Gebiet.
Fast wäre Gunter Künstler Profisportler geworden. Der Winzer aus Hochheim am Main hatte das Talent und den Willen, beim Turnen und im Handball ganz vorne mit dabei zu sein. 1988 aber verletzte sich der Vater so schwer, dass der 19jährige die Ernte übernehmen musste. Danach stand sein Berufswunsch fest. Inzwischen hat Künstler für seine langlebigen Weine Dutzende Preise gewonnen – und jede Auszeichnung lässt seine Ansprüche weiter steigen. Der Ehrgeiz des Sportlers Künstler lebt in kraftvollen Weinen weiter, mit denen er in Deutschland schon lange zur Champions-League gehört.
Wer sich im Internet mit Wein beschäftigt, kommt an Dirk Würtz kaum vorbei. Er gilt vielen als einflussreichster deutscher Weinblogger und geht mit seinen Beiträgen oft gezielt auf Konfrontationskurs. Dabei äußerte er sich nicht nur zu Fragen des Weinbaus und Weinmarketings, sondern auch zu allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Themen. Würtz ist ein Querdenker, aber auch ein Macher: Einst Kellermeister bei Robert Weil, produziert er heute als Betriebsleiter bei Balthasar Ress in Hattenheim Gewächse, die gelegentlich die gleichen Ecken und Kanten haben wie ihr Schöpfer.
Dass Karl-Eugen Erbgraf zu Neipperg auf den ersten Blick eine gewisse Strenge ausstrahlt, sei einem Angehörigen des europäischen Hochadels zugestanden und ist nicht zuletzt Ausdruck einer christlich-konservativen Wertorientierung, die sich auch in Neippergs politischer, kirchlicher und karitativer Tätigkeit widerspiegelt. Die wurde unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Das Neipperg’sche Familienweingut in Schwaigern blickt auf 770 Jahre Geschichte zurück. Aufgrund ihrer Verbindungen nach Österreich sollen die Herren von Neipperg im 17. Jahrhundert den Lemberger alias Blaufränkisch nach Württemberg gebracht haben, wo er heute große Gewächse hervorbringt.
Er gilt als einer der Magiere des deutschen Weins. Und tatsächlich ist das, was Manfred Prüm – im In- wie im Ausland kennt man ihn unter den „anglizierten“ Initialen des Betriebsgründers, Jay Jay – zelebriert, wenn er Besucher empfängt, ganz großes Spektakel. Wenn er mit geheimnisvoller Miene hinabsteigt ins Heiligste. Wenn er dann ins Reich der Irdischen zurückkehrt, mit noch geheimnisvolleren Flaschen in der Hand, aus denen er unglaublich frisch gebliebene uralte Jahrgänge kredenzt. Selbst kritische Chronisten beeindruckt diese Magie so sehr, dass sie Prüm lange auch Fehltöne in den Jungweinen verziehen. Das gehörte sich halt so. Heute sind die Weine Prüms untadelig reintönig, haben ihre Langlebigkeit aber dennoch nicht verloren. „Schuld“ daran, so munkelt man, sei Tochter Katharina. Ob die das Erbe des Patriarchen antreten wird – will, darf? – scheint in den Sternen zu stehen. Munkelt man.
Die Lage ist alles! Helmut Dönnhoff hat stets auf den einzigartigen Charakter der Weinberge seiner Heimat gebaut. Und das bereits zu einer Zeit, als das Anbaugebiet Nahe noch nicht als Herkunft großer Weine gefeiert wurde. Mit seinen Rieslingen von Hermannshöhle oder Brücke begeistert er Menschen auf der ganzen Welt. Seit bereits mehr als zehn Jahren ist Sohn Cornelius für den Ausbau der Weine verantwortlich. Er hat dabei längst seinen eigenen Weg gefunden und das mit einer beeindruckenden stilistischen Konsequenz. Wer Helmut und Cornelius Dönnhoff begegnet, trifft auf zwei geerdete Winzerpersönlichkeiten, die trotz des Wissens um das eigene Können Bescheidenheit ausstrahlen: Laut sind sie beide nicht, ganz wie ihre Weine.
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Emanzipation alla siciliana
von Gabriella Gallozzi
Desperate housewives? In Sizilien? Von wegen! In Menfi, einer Klein- stadt an der Südwestküste der italienischen Insel, ist von Ho- nungslosigkeit wenig zu spüren. Den heimischen Herd, weltweit ein Symbol der Unterdrückung, haben Frauen aus Menfi zum Schauplatz ihrer Befreiung gemacht. Fast könnte man sagen, zum Schauplatz einer Emanzipation ganz ohne feministischen Anspruch. Schuld daran ist, bizarr, bizarr, ausgerechnet das Marketing einer großen Weinkellerei. enos-Autorin Gabriella Gallozzi fuhr nach Sizilien und traf die Frauen am Herd.
Lucias Küche ist vollgestopft mit Deckchen und Heiligenbildern. Filmreif! Genau so, wie man sich eine sizilianische Küche auf dem flachen Land vorstellt. Neben ihr der Mann, ein pensionierter Finanzbeamter und „Feinschmecker“, und die vierzigjährige Tochter, die noch bei Mama und Papa wohnt. Die Küche ist Lucias Reich, ein Reich, aus dem sie ihr Leben lang nicht hinauskam. Bis vor wenigen Jahren jedenfalls. Und heute? Messen, kulinarische Events, Verkostungen, Reisen nach Großbritannien, Deutschland, Veranstaltungen in ganz Italien. Fast achtzigjährig hat Lucia zum ersten Mal in ihrem Leben ein Flugzeug bestiegen, ihr Reich, ihre Welt verlassen.
Wir sind in Menfi, einem entlegenen Winkel der Magna Grecia, Provinz Agrigento, eingerahmt von den dorischen Tempeln Selinuntums und den Ausgrabungen von Herakleia Minoa, geprägt von den Bildern des Gattopardo, jener Romanfigur Tomasi di Lampedusas aus der Zeit des Übergangs vom Regime der Bourbonen ins vereinte Italien. Lucia ist seit einigen Jahren Mitglied der „Brigata di cucina Mandrarossa“, einer Gruppe von aktuell 15 Frauen, allesamt zwischen 50 und 80 Jahre alt, die alte Rezepte ihrer Heimat in die Welt tragen. Rezepte, die sie als Kinder von ihren Großmüttern, Müttern und Tanten, an den Herden und Tischen ihrer Familien lernten. Es sind Rezepte, die Geschichten erzählen, Fabeln, die an eine alte bäuerliche, schon fast verschwundene Vergangenheit erinnern, überliefert von Frauen – gelegentlich auch Männern – wie Lucias „nonna“, die 24 Jahre lang aus dem Rollstuhl allen im Hause gezeigt hatte, wo der Bartel den Most holt.
Ungewöhnlicher als diese „brigata“ selbst, die für viele der Frauen, bis dato nur an die alltägliche, lange Jahre aber auch meist einsame Routine am heimatlichen Herd gewöhnt – der Mann auf den Feldern, die Kinder aus dem Haus, die Eltern verstorben –, eine ganz neue Unabhängigkeit bedeutet, fast ein neues soziales Universum, ist die Geschichte ihrer Entstehung. Hinter der Idee stand und steht nämlich das Marketing einer Weinkellerei, die in diesem verarmten, verrufenen Teil Italiens für viele Brot und Arbeit sichert.
Die Rede ist von der Genossenschaft Settesoli, benannt nach dem Lehen, das die schöne Angelika im Roman als Mitgift für ihre Hochzeit mit dem zynischen Tancredi, dem Neffen des Gattopardo, erhielt. Eine autobiografische Geschichte, die nicht nur Tomasi in dieser Gegend ansiedelte, sondern später auch Luchino Visconti, der dessen Figuren mit den Gesichtern Claudia Cardinales, Alain Delons und Burt Lancasters noch berühmter machte.
1958 wurde der „Gattopardo“ posthum veröffentlicht, und 1958 war auch das Gründungsjahr der Cantine Settesoli auf Initiative einer Gruppe „aufgeklärter“ adliger Grundbesitzer, „burgisi“, wie man das Bürgertum hier nennt, und Weinbauern. Aus den anfänglich 88 Genossen mit insgesamt 256 Hektar Rebfläche wurden mit der Zeit 2.000 Mitglieder, die gut 7.000 Hektar auf den unterschiedlichsten Böden und mit ingesamt 32 verschiedenen Rebsorten bewirtschaften – in dieser Gegend eine ökonomische und soziale Großmacht.
Als ob die schiere Größe noch nicht reichte, entschied man schon vor Jahren, neben den 25 Millionen Flaschen der „Settesoli“-Weine noch eine „Haute Couture“-Selektion ausgewählter Weinbergslagen und Rebsorten auf den Markt zu bringen. „Mandrarossa“ wurde die Linie auf den Namen eines kleinen Flusslaufs der Gegend getauft, und bei Settesoli verstand man schnell, dass besondere Weine auch ein besonderes Marketingkonzept verlangten. Eines, das Qualität und Tradition vereinte und authentisches Storytelling erlaubte.
Was, erinnert sich Roberta Urso, bei Settesoli für die Kommunikation verantwortlich, lag da näher, als die sizilianische Küche, präziser, die traditionelle Kochkunst von Menfi und Umgebung? Bis 2012 sollte es noch dauern, bis das Konzept ausgereift war. Dann wurden, noch bevor die Mode der TV-Koch- und Talentsendungen auch nach Italien überschwappte, im Rahmen eines Castings aus einer riesigen Zahl an Bewerberinnen 25 Frauen ausgewählt – Kriterien waren ein Mindestalter von fünfzig Jahren und Können am Herd. Die Gruppe ließ man anschließend drei Monate lang von Palermos bekanntester Köchin, Benedetta Dall’Olio, schulen, was, wie Lucia sich erinnert, vor allem darauf hinauslief, in kleineren Portionen zu denken. Wie Lucia, die von der Mutter einst mit zehn Jahren aus der Schule genommen wurde, damit sie zu Hause mithelfen und Deckchen klöppeln konnte, und die bei den gemeinsamen Auftritten für die Pasta und die herrlich delikaten, mit Ricotta gefüllten „cannoli“, ihre „Sonntagssüßigkeit“, verantwortlich ist, hat jede der Frauen ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Rezepte.
Die manchmal aus richtig kuriosen Quellen stammen können, wie bei „Signorina“ – trotz der fast 80 Jahre – Alesi. Hemdsärmelig wie ein Cowgirl bewirtschaftet sie ihr Land ganz alleine und fährt im hohen Alter sogar noch den Traktor selbst. Ihr Rezept einer „capolata“, selbstgemachter Pasta in Hühnerbrühe, hat sie von einer Kusine „geerbt“, die wie große Teile der Familie seit langem in New York lebt.
Rosa wiederum, eine der Köchinnen, die schon vor langen Jahren in der Folge des vernichtenden Erdbebens von 1968 nach Deutschland emigriert war, später aber wieder in die Heimat zurückkehrte, gilt bei den Frauen der „brigata“ als Königin des Brots. Ihre Brötchen, die sie gerne fürs Kinderfrühstück bereitet, sehen wie richtige Spitzen aus, nur dass sie nicht geklöppelt, sondern gebacken sind.
Die Spezialisierung ist kein Zufall, sondern System. Erklärt Giannella, mit fünfzig Jahren eine der Jüngsten in der Brigade. Die Musikerin und Lehrerin, die seit kurzem an einer Mailänder Schule unterrichtet, erklärt: „In unserer Gruppe gibt es keine Hierarchien. Wer ein Rezept einbringt und beherrscht, hat das Kommando. Deshalb müssen wir auch keine Angst haben, dass ein Rezept mal misslingt. Weil wir alle so verschieden, verschiedener Herkunft sind, gibt es auch immer eine, die weiß, wie es geht. Wenn dann alle zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen, wird das Kochen zum Kinderspiel.“
Giannella hat ihr Lieblingsrezept, die „ceci tostati“, geröstete Kichererbsen, vom Großvater abgeschaut. Der hatte die Hülsenfrüchte unter Sand im Kamin vergraben und an den langen Winterabenden gedreht und gewendet, wieder und wieder. Und dabei nicht nur gegart, sondern sie auch mit Mysterien und Geschichten „beladen“.
Dabei hat Giannella das Kochen erst als Erwachsene gelernt. Als Kind sollte sie studieren. Ihre Tage verbrachte sie am Klavier, und für die Kochtöpfe blieb keine Zeit. Auch Giannella hat heute ihr Diplom als „Maestra di cucina del territorio“, als Lehrerin der regionalen Küche, in der Tasche. Ist Expertin für rasch zu bereitende „primi piatti“, meist Pastagerichte. „Pennette con cicoria e triglia“, Nudeln mit Chicoree und Seebarbe oder mit Brokkoli, gehören dazu. Klar, dass nur Produkte der Saison ihre Gnade finden, selbst wenn Supermärkte auch in Menfi zwölf Monate des Jahres das gleiche Obst und Gemüse anbieten.
Für Veranstaltungen mit 2.000 Besuchern haben Lucia und Giannella schon gekocht, zusammen mit den anderen Mitgliedern der „brigata“. Das war in Mailand. „Die Gäste zufrieden essen zu sehen, war unsere größte Belohnung, erinnert sich Lucia und bietet ein Gläschen hausgemachten Limoncellos an. Selbst ein Buch haben die Frauen mit ihren Erinnerungen und Rezepten schon zusammengestellt. Ein Buch, in dem sie das kulinarische Gedächtnis ihrer Region zu bewahren suchen, die Seele von Mandrarossa.
Es ist eine besondere Gegend, die von Menfi. Eine, in der die Mafia nicht landen konnte, sagen die Bewohner. Und das, obwohl es nur wenige Kilometer bis Castelvetrano sind, dem Heimatdorf eines der meistgesuchten Bosse Siziliens. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder doch nur die andere Seite der gleichen Medaille? Die leuchtende Seite, die einer Region, in der die Menschen sich nicht nur individuell befreien konnten wie die Frauen von Mandrarossa, sondern auch kollektiv? Einer Region, die erst vom Erdbeben zerstört, dann von der Emigration entvölkert wurde und jetzt einen Moment der Wiedergeburt erlebt? Lucia, Giannella und ihre Freundinnen sind die Ethnologinnen, die Archäologinnen dieser Wiedergeburt. Einer Wiedergeburt, die sich auch über die Wiederentdeckung des großen Universums der traditionellen Küche vollzieht. Erstaunlich, welchen Weg manchmal auch eine simple Marketingidee nehmen kann.
Die Römerin Gabriella Gallozzi schrieb lange Zeit Filmkritiken für die Tageszeitung „L‘Unità“ und gibt heute das Online-Magazin bookciakmagazine heraus. Für enos schrieb sie die Reportage über die Bierrevolution in Italien.
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Zimmer mit Wein
Mein Name ist Bond ...
Es wäre wohl so etwas wie die ultimative Erfindung von „Q“ für seinen Agenten James Bond alias 007 gewesen: Champagner auf Knopfdruck. Warum Bond-Darsteller Roger Moore ein solches Spielzeug im Film nicht bekam, ist unklar, im wirklichen Leben hätte er nur ein wenig warten müssen, um seinen ganz persönlichen Prickler-Knopf nutzen zu können. Immerhin verbrachte Moore schon vor Jahrzehnten seine drehfreie Zeit gerne im „The Nai Harn“ im thailändischen Phuket. Und in eben diesem Nai Harn kann der Gast heute von einem „daybed“ aus durch kurzen Druck auf einen entsprechend gekennzeichneten Klingelknopf sein Glas gut gekühlten Champagners bestellen. Nein, es wird wohl, anders als im Film, weder Dom Pérignon, der Bond-Champagner der ersten Jahre serviert, noch Bollinger, der Favorit späterer Bonds. Aber auch der Original-Bond – der aus dem Buch von Ian Fleming, nicht der aus den Filmen – hatte ja weder Bollinger noch den Kultwein von Moët, sondern stattdessen Taittinger getrunken, die Marke, die es nur in „Liebesgrüße aus Moskau“ ins Product Placement der Filme schaffte. Moore war übrigens nicht der einzige, den das früher als Phuket Yacht Club bekannte Hotel ganz in der Nähe des Klosters Nai Harn lockte. Auch Sir Peter Ustinov, Rudolf Nurejew, Prinz Albert von Monaco und der verstorbene dänische Prinzgemahl Henrik liebten dessen Dienste. Zwischenzeitlich ein wenig in Vergessenheit geraten, ist das Nai Harn unter der Leitung des Deutschen Frank Grassmann seit einiger Zeit zu einem Treffpunkt für Gourmets und Weinfreunde geworden und veranstaltet einmal im Jahr ein großes Winzertreffen.
The Nai Harn 23/3 Moo 1, Vises Road, Rawai, Muang District, Phuket, 83130 Thailand www.thenaiharn.com
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Flaschengeschichte
Auferstanden aus Ruinen
von Eckhard Supp
Ein Unglück kommt selten allein“, dürften sich die Inhaber der Champagnerkellerei Pol Roger, Maurice und Georges Roger, die Söhne des Firmengründers, gedacht haben, als sie am 23. Februar des sehr kalten und feuchten Winters 1900 gegen zwei Uhr morgens von lautem Krachen geweckt wurden. Ein Teil der neugebauten Kellergewölbe samt angrenzender Gebäude war eingestürzt und hatte dabei gleich auch noch 500 Fässer Wein sowie 1,5 Millionen Flaschen unter sich begraben. Ein weiterer Einsturz in der unmittelbaren Nachbarschaft ließ die Hoffnung, wenigstens einen Teil der Bestände retten zu können, schwinden.
Erst Anfang dieses Jahres – die Kellerei wollte eine neue Abfüllanlage installieren – rückten die eingestürzten Keller wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Da die neuen Räumlichkeit unmittelbar über den alten Mauern liegen sollten, ließ man Probebohrungen durchführen, um sich der Stabilität des Untergrunds zu vergewissern. Groß war die Überraschung, als dabei nicht nur Hohlräume entdeckt wurden, sondern diese sogar jede Menge alter Flaschen enthielten: 26 davon waren unbeschädigt und ließen sich auf den Zeitraum 1887 bis 1898 datieren – alle noch mit dem Hefedepot der zweiten Gärung. Die Entdeckung machte Appetit auf mehr, und so wurde der Bau der Abfüllanlage erst einmal hintangestellt: Zunächst will man von Spezialisten erkunden lassen, ob die Suche nach weiteren Flaschen sicher wäre.
Auch was mit den gefundenen Weinen geschehen wird, ist noch unklar – eine Entscheidung darüber soll erst nach der eventuellen Bergung weiterer Flaschen fallen. Wenn dies geschehen ist, werden die gefundenen Champagner abgerüttelt und degorgiert. Ihr Verkauf ist jedenfalls nicht vorgesehen, und viel Tamtam will man um die weiteren Aktionen auch nicht machen. Eigentlich sympathisch.
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Die vergessene Hälfte des Himmels
von Carsten M. Stammen
„Nǚrén néng dĭng bàn biāntiān“, Frauen können die Hälfte des Himmels tragen, lautet eines der bekanntesten Zitate aus der Feder Maó Zédòngs. Dass man sie auch heute noch nicht die Hälfte der Erde tragen lässt, wissen wir – nicht dagegen, dass sie im Weinbau schon lange vor unserer Zeit eine maßgebliche Rolle spielten. Und das nicht nur dann, wenn sie das Werk verstorbener Männer fortführen mussten, wie im Falle Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardins, der legendären Champagner-Witwe. Carsten M. Stammen grub für enos in den Geschichtsbüchern und entdeckte die Lebensgeschichten zweier außergewöhnlicher und dennoch fast vergessener Frauen, die die Weinwelt ihrer Zeit entscheidend prägten.
Mary Penfold verstarb in den ersten Monaten des Jahres 1896. Fast 50 Jahre, so ihr Nachruf lakonisch, hatte sie auf dem Landgut Magill ihres Mannes im südaustralischen Adelaide gelebt. Der war, so will es die Geschichtsschreibung, Gründer der nach ihm benannten „winery“, einer der renommiertesten Kellereien auf dem fünften Kontinent. „Das Weingut wurde im Jahr 1844 durch Dr. Christopher Rawson Penfold gegründet,“ heißt es etwa auf Wikipedia, der „zu Beginn … schwere Weine als Tonikum für seine Patienten (produzierte).“
Eine ganz andere Geschichte erzählen die Aufzeichnungen der Frau Christopher Penfolds. 1820 im englischen Edmonton nahe London als einzige Tochter einer offenbar recht wohlhabenden Familie geboren, hatte Mary Holt 1835 noch minderjährig den Medizinstudenten Penfold geheiratet. Der eröffnete nach abgeschlossener Ausbildung im noblen Seebad Brighton eine Praxis, verschuldete sich dabei aber bis über beide Ohren bei seinem geschäftstüchtigeren Bruder. Als er die Zinsen nicht mehr bedienen konnte, zog er es vor, zusammen mit seiner jungen Frau nach Australien zu emigrieren. Mit an Bord des Auswandererschiffs HMS Taglioni: Tochter Georgina Ann und die Bedienstete Ellen Timbrell. Am 18. Juni 1844, nach viermonatiger Seefahrt, landeten die Penfolds in der jungen, erst wenige Jahre zuvor gegründeten Kolonie. Rasch fanden sie einige Kilometer östlich Adelaides ein rund 200 Hektar großes Landgut, das Penfold auf den Namen „The Grange“ taufte – das sollte gut 100 Jahre später der Name des berühmtesten Weins der Penfolds werden.
Als Arzt glaubte Christopher Penfold an die heilende Wirkung von Wein, vor allem von Sherry und Port, als Tonikum gegen Blutarmut und ließ deshalb auf dem neuerworbenen Grund und Boden mitgebrachte französische Reben auspflanzen. Kümmern konnte er sich um diese Arbeiten nicht: Die bald schon erfolgreiche Praxis, sein weit gestreutes wohltätiges und politisches Engagement sowie offenbar weiterhin quälende finanzielle Probleme verlangten seine ganze Aufmerksamkeit. So überließ er die Pflege der Reben wie auch das Weinmachen seiner Frau, der die Haushälterin Ellen Timbrell bald auch als „assistant winemaker“ zur Hand ging.
Aus noch erhaltenen Aufzeichnungen Mary Penfolds und ihrer Korrepondenz – ein persönliches Tagebuch wurde offenbar nach ihrem Tode von der Familie vernichtet, die um den guten Ruf Christopher Penfolds fürchtete – geht hervor, wie wenig der Arzt in die Arbeit des Weinguts involviert, wie sehr das gesamte Geschäft von seiner Frau vorangetrieben wurde. Dass eine Frau eine solche Rolle einnahm, dass sie ein solch erfolgreiches Unternehmen aufbaute, passte allerdings nicht zu den Vorstellungen des viktorianischen 19. Jahrhunderts.
Erst vier Jahre nach dem Tode Penfolds im Jahre 1870 widmete die Tageszeitung „The Register“, der spätere „South Australian Register“, der wahren Rolle Mary Penfolds eine Würdigung: „Die Arbeit (in der Kellerei) vollzieht sich unter der persönlichen Leitung von Mrs. Penfold, nicht nach irgendeiner feststehenden oder genau definierten Regel, sondern vollständig gemäß ihrem eigenen Urteil und Geschmack“, hieß es darin.
Marys Vorlieben galten nicht den „Medizinweinen“, die ihr Mann seinen Patienten verschrieb, sondern eher Clarets und Rieslingen; sie experimentierte mit neuen An- und Ausbaumethoden und war dem technologischen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen. Im Laufe der Jahre war aus der Weinherstellung ein von den Erfordernissen der Arztpraxis unabhängiges, eigenständiges Geschäft geworden. Die Weine erhielten erste Auszeichnungen bei Wettbewerben, und Mary Penfold organisierte neue Absatzmärkte. Nach der Hochzeit von Tochter Georgina mit dem Verwaltungsbeamten Thomas Francis Hyland wurde dieser zum Handelsvertreter der Penfoldschen Weine in Melbourne; selbst in Neuseeland und Indien wurden die Weine inzwischen verkauft.
Noch 1881 schloss Mary Penfolds mit ihrem Schwiegersohn und ihrem Kellermeister Joseph Gillard einen Vertrag, der ihr weiterhin die Kontrolle über Weinbereitung und Weinvertrieb sicherte, und erst zwei Jahre vor ihrem Tod übernahmen Tochter Georgina und deren Mann die Leitung der Kellerei, die inzwischen bereits ein Drittel des gesamten südaustralischen Weins erzeugte.
Nur gut zwei Jahre nach dem Tod Mary Penfolds erblickte im fernen Spanien Dolors Sala Vivé das Licht der Welt. Ihr Großvater Francesc Sala Ferrés hatte 1861 im katalanischen Sant Sadurní d’Anoia das Weinhandelshaus Casa Sala ins Leben gerufen. Wird die Rolle Mary Penfolds von der Weingeschichtsschreibung schon stiefmütterlich behandelt, dann sind Quellen über die Arbeit Dolors Salas fast an den Fingern einer Hand abzuzählen. Im Grunde findet sie nur als „Tauschobjekt“ katalanischer Weinbauclans Erwähnung: Durch ihre Heirat mit Pedro Ferrer Bosch, genannt El Freixenet, weil sein Landsitz von Eschen, katalanisch freixe, umgeben war, wurde die Grundlage für den größten katalanischen Weinkonzern gelegt, ganz so, als hätte ein mittelalterlicher Fürst seine Tochter mit dem Sohn des Nachbarn verheiratet, um ein größeres Reich zu schaffen.
Die Zeiten waren schwer im Spanien des beginnenden 20. Jahrhunderts. Das Land verlor seine Kolonien und damit wichtige Weinabsatzmärkte, die Reblaus verwüstete einen Weinberg nach dem anderen. Weil besonders Rotweinreben gegen den Schädling anfällig schienen, entschlossen sich Dolors Sala und Pedro Ferrer, mehr Weißweinsorten auszupflanzen und aus deren Trauben Schaumwein zu keltern. Zusammen mit Dolors‘ Vater, Joan Sala Tubella, gründeten sie eine neue Kellerei und brachten 1914 den ersten Cava unter der Marke Freixenet auf den Markt.
Auch wenn der Wein den Spitznamen Ferrers trug, seine Macherin war eindeutig Dolors Sala. Ungewöhnlich für eine Frau ihrer Zeit, besaß sie großes önologisches Wissen und übernahm die Position der Weinmacherin, während ihr Mann sich um die Vermarktung kümmerte. Vielleicht ihre größte Leistung: Sie experimentierte so lange mit natürlichen Hefen aus den Weinbergen rund um Sant Sadurní, bis sie einen Stamm fand, der sich perfekt für Cava eignete. Noch heute unterhält die Kellerei ein Labor, in dem der Jahrzehnte alte Mutterstamm dieser Hefe weiter vermehrt wird.
Aber die schwierigen Zeiten waren noch nicht vorbei. Gleich zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs wurden Pedro Ferrer und sein ältester Sohn Joan Ferrer Sala 1936 verschleppt und getötet, die Kellerei wurde enteignet. Erst nach dem Ende des Bürgerkriegs im Jahre 1939 erhielt die Familie ihren Besitz zurück, und Dolors Sala übernahm dessen Leitung.
Während der Franco-Diktatur von 1939 bis 1975 herrschte in Spanien allerdings ein fast karikaturales Männlichkeitsideal: Jungen wurden zum (kriegerischen) Wettkampf erzogen, Mädchen zu Hausfrauen und Müttern. Die Vorstellung von Frauen als erfolgreiche Unternehmerinnen war damit nicht vereinbar. Auch Sala passte sich diesem Ideal an. Auf dem Papier führte sie das Unternehmen nur so lange, bis ihr jüngster Sohn diese Aufgabe zumindest formell übernehmen konnte.
Tatsächlich aber traten zwar nach und nach jüngere Mitglieder der Familie in die Geschäftsführung ein, deren Vorsitz aber behielt bis zu ihrem Tode im Jahre 1978 Dolors Sala. An die Mitgründerin von Freixenet erinnern heute nur noch das Etikett eines der besten Cavas des Hauses, die Cuvée de Prestige D.S., und die Bodega Sala Vivé sowie die Finca Doña Dolores, die Freixenet Anfang der 1980er Jahre in Mexiko gründete.
Vielleicht können die neuen Besitzer von Freixenet, die Rheingauer Sektkellerei Henkell & Co., den Namen von Dolors Sala dem Vergessen entreißen. Einen ersten Schritt hat die katalanische Önologenvereinigung bereits gemacht, als sie sie posthum zur Ehren-Önologin ernannte. Ob irgendwann einmal auch die Rolle Mary Penfolds ihre verdiente Würdigung erfährt, steht dagegen noch in den Sternen.
Carsten C. Stammen absolvierte eine Hotelausbildung und studierte dann Tourismusbetriebswirtschaft. Heute arbeitet er als freier Journalist, Texter und Weinverkoster.
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Lernen mit Schweizer
Eine der ältesten Diskussionen der Weinwelt dreht sich um die Frage, ob man Weinwissen braucht, um Weine verstehen und damit auch „richtig“ genießen zu können. Wahrscheinlich ist es müßig, auf diese Problemstellung von der Art „Henne-und-Ei“ überhaupt eine Antwort zu suchen. Unbestreitbar aber ist, dass viele Weinfreunde tatsächlich das Gefühl haben, dass ihnen Wissen beim Genießen hilft. Frei nach dem Motto „Der Kopf schmeckt mit“.
Das ist wohl auch der Grund dafür, dass so viele Menschen die Mühen – oder doch das Vergnügen? – von Wein- und Sensorikseminaren auf sich nehmen bzw. suchen. Und dafür, dass einer der „big players“ im Freizeitgeschäft, der sein Geld damit verdient, „unvergessliche Erlebnisse, Reisen & Erlebnisgeschenke“ zu verkaufen, seit geraumer Zeit auch Weinseminare anbietet. Die von Jochen Schweizer, einst Extremsportler und Stuntman, ex-Investor in der „Höhle der Löwen“, der unter anderem auch das Bungeespringen in Deutschland populär gemacht haben soll, gegründete Gutscheinfirma, die noch seinen Namen trägt, aber zum Imperium von ProSiebenSat.1 gehört, vermarktet mit unterschiedlichen Partnern gleich eine ganze Serie solcher Seminare.
Die Liste der Themen reicht dabei vom Klassiker, dem „Weinseminar Einsteiger für zwei“ über einen „Tag auf dem Weingut“ bis hin zum „Wein & Käse Seminar“ und zur „Weinprobe im Dunkeln“. Trotz unterschiedlicher Anbieter, Veranstaltungsorte und natürlich Weine folgen die Seminare einer ähnlichen Dramaturgie: Zu Beginn gibt es Informationen zur Geschichte und Herstellung der Weine, dann werden meist vier rote und vier weiße Produkte verkostet – mit einer Einführung in die Sensorik, versteht sich – und zum guten Schluss erhalten die Teilnehmer per Mail noch einmal die Seminarunterlagen nach Hause. Die Preise reichen von EUR 49,00 pro Kopf bis zu EUR 299,00 für das romantische Weindinner zu zweit.
Jochen Schweizer GmbH
Rosenheimer Str. 145 e-f
81671 München
www.jochen-schweizer.de
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News - Produkte
Weniger Wein ... und doch zuviel
Wie die Pariser Internationale Weinorganisation (OIV) mitteilte, lag die weltweite Weinproduktion im vergangenen Jahr bei nur noch bei 250 Millionen Hektolitern. Das waren 8,6 Prozent weniger als im Vorjahr. Dies sei die niedrigste Produktionsmenge der letzten sechs Jahrzehnte gewesen, genauer, seit den katastrophalen 173 Millionen Hektolitern des Jahres 1957, hieß es. Schuld an dieser Entwicklung waren vor allem die europäischen Länder, die aufgrund widrigen Wetters mit großen Ernteausfällen zu kämpfen hatten. In den USA und China dagegen blieben die erzeugten Mengen stabil, in Argentinien stiegen sie sogar um 25 Prozent. Dessen ungeachtet und trotz eines leicht gestiegenen weltweiten Weinkonsums bleibt zu konstatieren, dass immer noch etwas mehr Wein erzeugt als getrunken wird. Den 250 Millionen produzierten Hektolitern standen ach wie vor nur 243 getrunkene gegenüber. Der Großteil des Weins wird übrigens immer noch in den Erzeugerländern konsumiert; exportiert werden weltweit insgesamt nur 108 Millionen Hektoliter.
Neue Konkurrenz vom Grasmarkt
Der Weinbranche, vor allem der kalifornischen, könnte in Zukunft Konkurrenz von einem bislang weithin illegalen Rauschmittel erwachsen. Das jedenfalls glaubt die niederländische Rabobank, die sich in der Vergangenheit mit ihren Studien zum Weinmarkt in der Fachwelt einen guten Ruf erworben hat. Bereits jetzt, so die Niederländer, sei Cannabis alias Marihuana alias Gras in neun US-Staaten sowie dem Disctrict of Columbia als Rauschmittel und in weiteren 30 Staaten zu medizinischen Zwecken zugelassen.
Während man bisher glaubte, vor allem junge Männer seien für die „sanfte“ Droge aus der weiblichen Hanfpflanze anfällig und tauschten dagegen sogar ihr geliebtes Bier ein, kommt Rabobank zum Schluss, dass vor allem berufstätige Frauen nach einer möglichen Legalisierung in Versuchung geraten könnten, zur Entspannung lieber einen Joint zu rauchen, anstatt wie bisher ein Glas Wein zu trinken. Wie hoch der für die Weinindustrie dadurch möglicherweise entstehende Schaden ausfallen könnte, vermag Rabobank nicht zu beziffern, verweist aber darauf, dass in Kalifornien fast 800.000 Menschen ihren Lebensunterhalt aus der Weinindustrie beziehen.
Rente für Parkinson
Es ist mit der Chemie im Essen, in der Landwirtschaft, im Alltag, ein wenig wie mit allen Problemen unserer heutigen Gesellschaft – mit dem Klima, der Atomenergie, der Umwelt und der „großen“ Politik, Kriege inklusive. Entweder man gehört zur einen Seite oder zur andern, ist dafür oder dagegen, und diese Positionsbestimmung ist auf beiden (!) Seiten häufig nicht wirklich wissenschaftlich-kritisch motiviert, sondern eher von Ängsten bestimmt, kommt in Form von Glaubensbekenntnissen daher. Wohlgemerkt, das gilt meist für Position und Gegenposition, und selbst an dem, was wissenschaftlich begründet scheint, darf häufig gezweifelt werden.
Die jahrzehntelange Diskussion um die positiven oder negativen gesundheitlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums war und ist das beste Beispiel für diesen Tatbestand. Da kam es schon mal vor, dass Wissenschaftler beim Zusammenfassen ihrer eigenen Studien deren Ergebnisse verfälschten, und fachfremde Berichterstatter diese falschen Zusammenfassungen dann eifrig zitierten, weil sie der Beweis für die Richtigkeit der eigenen
Theorien schienen.
„Wem ist schon bekannt, … dass für französische Weinbauern die Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt ist?“, fragt der Autor des im kürzlich erschienenen Bändchens mit dem provokativen Titel „Unser täglich Gift“. Dass im Weinbau verwendete Pestizide Parkinson auslösen – auch wirklich verursachen? – können, klingt alarmierend und wird in dem Buch noch an drei weiteren Stellen behauptet. Als Beweise werden einmal die Internetpublikation agrarheute.com – nicht eben eine Quelle von wissenschaftlichem Rang – und später ein Aufsatz im „European Journal of Epidemiology“ zitiert, wobei der letztgenannte Aufsatz immerhin so vorsichtig scheint, nur von einem „Verdacht“ zu sprechen.
Das aber interessiert den Autor des Bandes mit dem alarmierenden Titel nur wenig. Die Botschaft ist verbreitet und entfaltet ihre Wirkung. Ob die ihr zugrunde liegenden Studien – sind es wirklich mehrere? – methodologisch sauber durchgeführt wurden, ob ihre angeblich so schlüssigen Folgerungen wirklich so schlüssig sind oder die unumgänglichen statistischen Unschärfen solcherart Schlüsse gar nicht zuließen, ob sie vielleicht nur Korrelationen ausweisen, mitnichten aber Kausalitäten … All das wäre in einer wirklich kritischen Arbeit zu klären gewesen, bevor man vom „täglichen Gift“ spricht.
Und klar doch, den Verdacht, dass Pestizide krank machen und sogar töten, kann niemand aus der Welt reden. Aber wer mit Thesen und Methoden, mit Quellen und Beweisen so unkritisch umgeht, der leistet der Sache, der er sich offenbar verpflichtet fühlt, einen Bärendienst.
Unser täglich Gift – Pestizide, die unterschätzte Gefahr, von Johann G. Zaller, 239 S., Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018
Weinausbildung per App
„OenoBordeaux“ heißt eine zunächst auf Französisch, Englisch und Chinesisch, jetzt auch in deutscher Sprache verfügbare Android- und itunes-App der „École du Vin de Bordeaux“, die kürzlich auf der Düsseldorfer Weinmesse ProWein vorgestellt wurde. Überfällig war eine solche App allemal. Denn es gibt zwar schon seit längerem Programme „für ratlose Weintrinker vor dem Supermarktregal“ oder „für Menschen, die den passenden Wein zum Essen suchen“. Weinwissen, wie es die meist gut besuchten Weinseminare von Erzeugern, Händlern oder Fachverbänden in der Regel bieten, fand man auf dem Mobiltelefon hingegen bisher nur wenig.
Allerdings ist schon der Einstieg in die App reichlich holprig. Obwohl kostenlos verfügbar, muss man sich erst mit Namen und Email-Adresse registrieren. Da wird man dann auch nach dem persönlichen Status gefragt. Wählt man dort „Privatperson/Allgemeinbevölkerung“, froh, dass man nicht zu irgendeiner „Sonderbevölkerung“ gehört, lautet gleich die nächste Frage, ob man „Weinliebhaber“, „Student/in“ oder „Unternehmen/
Organisation“ sei. Mal abgesehen davon, dass die „Privatperson“, die sich als „Unternehmen“ versteht, noch nicht erfunden wurde, wirken diese Auswahlmöglichkeiten doch sehr mit heißer Nadel gestrickt.
Die App soll nach Aussage ihrer Erfinder die „umfassende und professionelle Weinausbildung ermöglichen“. „Sie sind Sommelier?“, heißt es auf der französischsprachigen Website, dann „entdecken Sie Bordeaux“. Die App besteht aus 65 verschiedenen Trainingsmodulen – untergliedert in neun Themenbereiche mit jeweils einem knappen halben Dutzend Einzelfragen –, wobei das nicht nur numerisch recht ärmlich aussieht, misst man es am Anspruch einer „professionellen Weinausbildung“. An Wissen wird dann zum Beispiel vermittelt, dass „die in Frankreich produzierte Weinmenge“ 2015 „46,8 Mio. Hektoliter, d.h. + 4% gegenüber der Ernte 2014“ betrug. Muss man wohl wissen, dass 2015 vier Prozent mehr Wein als 2014 erzeugt wurden. Und die Zahlen für 2016 oder 2017 interessieren offenbar eh niemanden. Dürftig, dürftig: Mehr kann man zu dieser App nicht sagen.
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Gemischte Sätze
von Angela Eßer
Allegro, der erste Satz.
„Eine kleine Nachtmusik“ von Mozart. Karl Böhm und die Wiener Philharmoniker. Eduard von Kallwitz schob die Disk in den CD-Player, drückte auf Play und blieb einen Moment stehen, um mit geschlossenen Augen den Beginn der wundervollen Musik zu genießen. Die CD dagegen, die er von seiner Mutter letzte Woche geschenkt bekommen hatte, legte er angewidert auf den kleinen Tisch neben den Player. Wildecker Herzbuben. Auch noch eine Doppel-CD. Das Grauen schlechthin. Wie konnte seine Mutter nur einen solch schlechten Geschmack haben? Er überlegte noch kurz, wen er mit dieser unsäglichen CD beglücken könnte, dann dimmte er das Licht und setzte sich in seinen Lieblingssessel. Welch herrlich zeitlose Klänge, dachte er.
„Leben. Endlich leben …“
Er saß an dem kleinen Tisch im Bistro, spielte mit einer Streichholzschachtel und redete mit sich selbst. Nein, er würde jetzt keine Zigarre rauchen. Schließlich lag seine Frau im Sterben. Lieber noch ein Glas von dem Weißen, der war hier wirklich gut. Der Rote war ihm zu schwer und erinnerte ihn zu sehr an Blut. Obwohl er wusste, dass keines fließen würde, während sie starb. Die Zigarre würde er später rauchen, wenn alles vorbei war. Warum eigentlich gläserweise bestellen, dachte er, eigentlich könnte ich genauso gut eine ganze Flasche nehmen. Ist billiger, und der Abend ist ja noch nicht zu Ende.
Geliebt hatte er sie. Ja, auch wenn er schon damals gewusst hatte, dass es für ein ganzes Leben nicht reichen würde. Die Hellste war sie nicht gewesen, aber die Hübscheste, ein Ass im Sport und sparsam. Jetzt war sie einfach nur verbraucht und langweilig. Eine alte Frau.
Den „Gemischten Satz“ hatte er extra für sie besorgt. Ihren Lieblingswein. „Das klingt so poetisch“, hatte sie immer gesagt, „und erinnert mich an zu Hause.“ Poetisch. Er lachte. Die Hacken war er sich danach abgelaufen. Wer trank denn heute noch so was? Klar war dieser Wein pure Verschwendung, aber irgendwie hatte er sie ja in die Heul- und Sterbestimmung kriegen
müssen. Wenn sie ein Glas ihres fränkischen Weins trank, fing sie nicht nur an zu lallen, sondern auch an zu heulen. Alles Leid dieser Welt stand dann in ihrem Gesicht. So war es auch diesmal gewesen. Als er ihr dann erzählte, er würde sie verlassen, war sie nur noch ein Häufchen Elend. Aber für die Schlaftabletten hätte es noch nicht gereicht. Also mußte er ihr die Sache mit Juliana,
der Praktikantin erzählen. Allein schon der Name! Königlich. Juli nannte er sie liebevoll. Wie ein langer, endlos schöner Sommer. Juliana – jung, hübsch, schlank, strahlend blaue Augen. Voller Lebendigkeit. Und vor allem jung.
Das hatte seiner Frau den Rest gegeben.
Hoffentlich. Nein, ganz sicher.
Vielleicht hätte er doch den „Alten Satz“ kaufen sollen. Der hätte besser gepasst, allein vom Namen her. Aber den hätte er nur übers Internet bekommen. Mit sündhaft viel Porto.
Nein, er musste sie ja nur betrunken kriegen, sonst nichts. Hastig trank er sein Glas leer und schaute in Richtung des grauen Mehrfamilienhauses auf der gegenüberliegenden Seite. Das Licht im Wohnzimmer ihrer gemeinsamen Wohnung brannte noch.
Er sah sie vor sich, am Eichenholztisch sitzend, mit dem Weinglas in der einen Hand und mit dem zerknüllten Taschentuch in der anderen. Rot verheulte Augen wird sie jetzt haben, dachte er, und sich fragen was sie falsch gemacht hat. Alles, ganz einfach alles.
Er konnte diese stumpfen Haare nicht mehr sehen und dieses öde, faltige Gesicht. Was war nur aus dieser Frau geworden? Aus den Nähten gegangen war sie. Gut, er hatte mit den Jahren auch einen kleinen Bauch bekommen, aber das war schließlich was anderes. Frauen hatten sich einfach ein bisschen
mehr zusammenzureißen. Und graue Haare machten sie ganz bestimmt nicht anziehender.
Nein, es reichte. Alte, ausgetretene Hausschuhe wirft man ja auch weg oder gibt sie zur Altkleidersammlung. Sie hatte es nie verstanden, sich für ihn hübsch zu machen. Die immergleichen Hosen, die nach Küchendunst rochen und dann ihr ewiges Genörgle. So behandelt man nicht den Ehemann, den Vater ihrer Kinder, aber vor allem den Ernährer. Wer will abends denn ein Hausmuttchen neben sich sitzen haben? Und dann die Stullen, die sie ihm fürs
Büro mitgab. Vollkornbrot mit Leberwurst. Wie oft hatte er ihr gesagt, dass es als Abteilungsleiter absolut daneben ist, ein nach Leberwurst stinkendes Brot im Büro auszupacken? Aber einfallslos war sie ja schon immer gewesen.
Streichholzschachteln sammeln, wer machte denn in der heutigen Zeit noch so was? Oder Weinetiketten von Flaschen ablösen und in Alben einkleben? Computer-Kurse wollte sie plötzlich belegen, da hatte er ihr allerdings gleich gesagt, dass er für solche Kinkerlitzchen kein Geld ausgeben würde.
Da hatte sie die Idee, einen Job anzunehmen. Ja verdammt, hatte sie denn zu Hause nicht genug zu tun?
In einen Fitnessclub wollte sie dann, aber da hatte er mal richtig auf den Tisch gehauen. Dass sie allein auf den Gedanken gekommen war, machte ihn jetzt noch wütend. Schließlich gab es Fernsehgymnastik oder Joggen. Kostete nix und hatte die gleiche Wirkung. Aber nein, mit allen Mitteln ihm Geld aus der Tasche ziehen wollen. Nicht mit ihm. Nicht für sie.
Bei Juliana war es etwas anderes. Mit ihr konnte er endlich leben. Die Chance, sein Leben neu zu beginnen. Atmen. Keinen Spießbürgermief mehr.
Zufrieden lächelte er in sich hinein und goss den Rest der Flasche in sein Glas. Das Licht brannte immer noch. Ein bis zwei Stunden
muste er wohl noch warten müssen, bis er nach Hause gehen konnte, um sie zu finden. Er wollte auf gar keinen Fall zu früh kommen. Womöglich wäre sie dann noch zu retten. Ins Krankenhaus fahren und Händchen halten war das Letzte, was er wollte.
Romance.
Ein Wein wie geschaffen für diese Musik. Alter Satz. Er schenkte sich ein Glas ein. Sein Großvater aus Franken hatte ihm immer davon erzählt. Von dem Wein und seinem Freund, dem alten Hufnagel, der im Jahr des Baus der ersten dampfbetriebenen Eisenbahnlinie einen kleinen Weinberg für seine Familie angelegt hatte. Vor 175 Jahren, und die Reben trugen immer noch Trauben! Über zwanzig Rebsorten, die auf dem ältesten Weinberg Frankens wuchsen, gemeinsam gelesen und vergoren wurden. Seine Nachbarin hatte ihm den Artikel in der Zeitung gezeigt. Jetzt gab es ihn wieder, den Alten Satz. Er nahm die Flasche in die Hand und betrachtete das Etikett, streichelte liebevoll den Bocksbeutel. Warum nur fiel sein Blick dabei auf diese verdammten Wildecker Herzbuben? Ärgerlich. Sehr ärgerlich. Zwei widerliche alte…. Er stöhnte und räumte die CD vom Tisch ins Regal.
Sie saß am Wohnzimmertisch und schaute auf die geleerte Flasche. Sein Glas stand noch unberührt daneben. Aus und vorbei. So schnell geht das. Geliebt
hatte sie ihn, aber jetzt war er einfach zu einer anderen gegangen. Einfach so. Eine Jüngere, eine Hübschere, und gemeinsam Erlebtes wird ad acta gelegt.
Den Gemischten Satz hatte er besorgt. Ihren Lieblingswein. Flüssige Poesie. Erinnerungen an das fränkische Zuhause. Die vielen Weinberge, die in jeder Jahreszeit der Landschaft ihre unverwechselbaren Farben gaben. Wie ein Gemälde, dass sich jeden Tag veränderte. Verändern durfte. Sie dachte an den vertrauten Dialekt, das Lachen der Menschen, an ihre Familie und an den neuen Nachbarn im Mehrfamilienhaus, der seine Wurzeln auch dort hatte. Sie weinte.
Heute Abend geht nicht nur meine Ehe zuende, dachte sie, sondern auch mein Leben. Alles war umsonst gewesen. Umsonst auf so vieles verzichtet. Es gab keine Zukunft mehr. Nicht mit ihm. Sie hatte geglaubt, er würde mit ihr reden wollen. So wie früher. Aber nichts war mehr wie früher.
Sie brauchte gar nicht in den Spiegel zu schauen, um zu sehen, wie sie aussah. Fünfzig Jahre, drei erwachsene Kinder und eintönige Hausarbeit waren nicht spurlos an ihr vorüber gegangen.
Und sie wusste genau, dass ihr Mann sich niemals von ihr scheiden lassen würde, das wäre nicht sein Stil. Vor allem zu teuer. Er würde einfach nur seine Sachen packen und gehen. Erspartes hatte sie nicht. Wovon auch? Das mühsam erkämpfte Taschengeld ging fast komplett für den Friseur drauf und den Rest steckte sie ab und an den Kindern zu. Sie sollte ihr Leben noch einmal neu beginnen, aber in ihrem Alter und ohne Beruf?
Irgendwann war sie mit all ihren Wünschen und Hoffnungen auf der Strecke geblieben. Sie schaute auf ihre Hände und erschrak. In wenigen Minuten würden sie schlaff von ihrem leblosen Körper hängen. Sie trank sein Glas leer und schaute auf die Uhr. Sie wusste genau, wo er jetzt war.
Sie sah ihn an dem kleinen Tisch im Bistro sitzen und Wein trinken. Er war nicht bei ihr und würde auch nicht mehr kommen. Er würde zu diesem Gör gehen, das seine Tochter sein könnte. Sie hatte Schlaftabletten in ihrem Nachtkästchen, genügend. Alles würde ganz schnell gehen. Hoffentlich. Nein, ganz sicher.
Sie ging in die Küche, um die leere Flasche in ein Wasserbad zu legen. Das Etikett löste sich nach wenigen Minuten und schwamm an der Oberfläche. Sie lächelte; eine alte Gewohnheit, die keinen Sinn mehr macht.
Menuetto.
Der dritte Satz war zu Ende. Eine berauschende Stille, die er mit dem einen Schluck Wein in seinem Mund tief in sich hineinsog. Doch Eduard von Kallwitz stutzte. In die Stille hatte sich ein Geräusch geschlichen. Leise zwar, aber wahrnehmbar. Ein vertrauter, trauriger Klang. Das Weinen seiner Nachbarin unter ihm. Wie oft hatte er sie schon weinen hören. Eine so herzliche Person. Strahlte Weichheit und zugleich unendliche Kraft aus. Das Funkeln in ihren Augen brachte ihn immer zum Lächeln. Vielleicht hätte er sie einladen sollen. Aber dann hätte er auch ihren Ehemann hier sitzen gehabt. Ein unangenehmer Zeitgenosse. Hatte sie überhaupt nicht verdient. Dieser ignorante Fatzke bekam wahrscheinlich gar nicht mit, was für eine warmherzige und an so vielem interessierte Frau er hatte. Brüllte immer nur durch die Gegend und nervte die ganze Nachbarschaft. Leider gab es viel zu viel von diesen Nervensägen. Wie die Wildecker Herzbuben. Unfassbar, dass diese Kreaturen sich immer wieder in seine Gedanken schlichen. Eduard von Kallwitz schnaufte. Die CD beleidigte, ach was, verunstaltete seine ganze Sammlung. Absolut widerlich. Er stand auf und zog die CD aus dem Regal und legte sie auf das Fensterbrett. Gleich morgen würde er sie mit ins Geschäft nehmen. Viel leicht konnte die ewig gackernde Trulla am Empfang damit etwas anfangen. Würde zu ihr passen. Diesem hirnlosen Huhn.
Er hatte noch Zeit. Deshalb würde er jetzt Juliana anrufen und fragen, ob er noch auf einen Sprung vorbei kommen könnte. Ach was, dachte er, ich fahr‘ einfach hin. Die Bushaltestelle war genau vor seinem Haus und gleich würde der 713er kommen. Er bezahlte und verließ hastig das Bistro. Die frische Luft versetzte ihm einen Schlag, der Wein tat seine Wirkung. Regen kühlte sein Gesicht. Bald wird alles überstanden sein, dachte er, als der Bus kam. Er kramte in seinen Hosentaschen nach der Streifenkarte. Als er wieder aufschaute, sah er nur noch die Rücklichter.
„Arschloch! Verdammtes Arschloch“, schrie er, „keine Augen im Kopf oder was?“ Er tobte auf dem Bürgersteig, doch niemand hörte ihn, die Straße war menschenleer.
Der ganze Sperrmüllkrempel der Nachbarn, die neben ihnen wohnten, stapelte sich auf dem Bürgersteig. Er trat gegen ein altes Sofa und fluchte weiter. Plastiktüten voller Müll fielen um. Flaschen zerbrachen.
„Asoziales Pack! Stellt einfach euren ganzen Müll dazu. Am besten schmeißt ihr euer ganzes Zeug aus dem Fenster, dann braucht ihr nicht mal einen Schritt zu gehen.“
Irgendjemand rief etwas zurück.
„Ich zeig dich an, du Schwuchtel“, brüllte er und schaute auf die Uhr. In fünf Minuten würde der 709er kommen.
Bald würde er mit Juliana in einem schicken Penthouse wohnen. Ganz bestimmt nicht mehr in diesem Viertel. Diese Zeit war ein für alle mal vorbei. Ein neues Leben begann. Endlich. Wie hatte er es hier nur so lange aushalten können. Zum Ersticken.
Zeit spielt keine Rolle mehr, dachte sie, und trocknete die etikettenlose Weinflasche ab, als sie von der Straße sein lautes Fluchen hörte. Sie löschte das Licht und sah ihn da unten stehen. Brüllend und fluchend. So wie sie ihn seit Jahren kannte. Ein paar Abschiedssätze an die Kinder werde ich noch schreiben müssen, dachte sie. Sie würden sonst nicht verstehen.
Sie hörte Musik. Ganz leise.
Bist du eigentlich verrückt, fragte sie sich plötzlich. Immer ging es nur um ihn. All die Jahre. Es wird Zeit, dass ich anfange zu leben. Endlich tun, was ich all die Jahre schon tun wollte. Ich werde es schon schaffen, verdammt noch mal.
Soll er doch machen, was er will.
Nichts werde ich schreiben. Keinen einzigen Satz. Sie erschrak über ihre eigenen Gedanken.
Rondo. Der letzte Satz.
Klar und mit allem im Reinen. Ein großes Ganzes. Der „Alte Satz“ war fast geleert, die Musik hielt den Beginn der Nacht umfangen. In völliger Harmonie hatten sich die Instrumente miteinander unterhalten. Was für ein Verlust, dachte Eduard von Kallwitz, wenn es wirklich stimmte, dass von „Eine kleine Nachtmusik“ ein paar Sätze verloren gegangen waren. Berauscht von der Musik trank er noch einen Schluck Wein und hörte ein furchterregendes Getöse von der Straße. Dazu brüllte irgendein wildgewordener Hansel wie verrückt durch die Landschaft. Konnte man nicht einmal mehr am Abend in Ruhe Musik hören? Störenfriede permanent und überall. Eduard von Kallwitz stand auf und machte die Musik lauter. Aber das Geschrei auf der Straße war immer noch zu hören. Unfassbar. Es reichte. Er ging ans Fenster und sah auf die Fratzen der Wildecker Herzbuben. Himmel nochmal, immer wieder diese unfassbare Doppel-CD. Ekelerregend. Er beschloss, dass nichts und niemand ihm diesen herrlichen Abend verderben würde. Weder Gebrüll, noch all diese widerwärtigen Monster, die eigentlich nichts anderes als Ohrmüll produzierten und eine Plage für alle waren. Vor allem für ihn. Dass seine Mutter so ignorant war, machte ihn mehr als fassungslos. Er öffnete das Fenster, warf wutentbrannt die Doppel-CD hinaus und fühlte sich unendlich befreit…
Er hörte, wie über ihm das Fenster geöffnet wurde. Er schaute nach oben, und im gleichen Augenblick sah er etwas auf sich zukommen. Es sah aus wie ein großer schwarzer Vogel mit glitzernden Flügeln. Was ...? Erschrocken trat er einen Schritt zurück, stolperte über eine umgefallene Stehlampe und stürzte rückwärts auf die Straße. Der Busfahrer des 709ers trat auf die Bremse. Zu spät.
Sie öffnete das Fenster.
„Geh wohin der Pfeffer wächst“, flüsterte sie.
Etwas Glitzerndes flog vorbei.
Was war das denn? Das musste aus der Wohnung vom neuen Nachbarn …
Den Satz hatte sie noch nicht zu Ende gedacht, als sie das Quietschen von Reifen hörte. Dann ein merkwürdiges Rumpeln. Sie schaute auf die Straße, dann nach oben zur Wohnung über sich, sah in die Augen von Eduard von Kallwitz.
Sie lächelten beide.
Verstohlen.
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Bitterer Sprudel
von Thomas A. Vilgis
Früher war alles einfacher. Da fragte der Ober im Restaurant nur: „Rot, weiß oder Bier?“ Heute legt ein Sommelier dem Gast gern sein bibeldickes Kellerbuch vor und fragt gleichzeitig, ob er schon ein Wasser bringen darf. Schlag auf Schlag landen dann erste „Grüße aus der Küche“ auf dem Tisch – fürs Nachdenken über die Wasserfrage bleibt meist keine Zeit mehr. Schade eigentlich, denn die Beziehung zwischen Wasser und Wein ist deutlich komplizierter, als manch einer denkt: bei Sprudel etwas mehr, bei Wasser „ohne“ eher weniger. Der Grund: Wasser verhält sich keineswegs, wie man das vielleicht vermuten könnte, „neutral“ zum Wein.
Werfen wir einen Blick auf die molekularen Eckdaten des Wassers – vor allem Mineralien machen hier die (geschmackliche) Musik. Sie liegen immer geladen vor – mal positiv (Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium), mal negativ (Chlor, Hydrogencarbonat). Vor allem zweiwertige Ionen wie Calcium und Magnesium können bei Rotwein dessen Bitterkeit verstärken. Beim Wasser „mit“ kommt noch gelöstes Kohlendioxid ins Spiel, das nicht nur belebendes Prickeln am Gaumen verursacht, sondern auch noch schwach sauer schmeckt und dadurch ebenfalls den Geschmack des Weins verändern kann.
In Rotweinen, vor allem, wenn sie lange auf der Maische standen oder im Holzfass ausgebaut wurden, spielen neben den meist alkohollöslichen Aromen die schwach wasserlöslichen, bitteren (Poly)Phenole eine wichtige Rolle. Sie lösen sich eigentlich aufgrund ihrer Molekülgröße sehr schwer im Wein und werden nur durch die Balance zwischen Ethanol und Wasser gelöst und geschmacklich in Schach gehalten. Bei Weißweinen, vor allem solchen mit kurzer Maischezeit, spielen sie kaum eine Rolle.
Wenn jetzt CO2-haltiges Wasser und phenol- wie tanninreiche (Rot)Weine am Gaumen aufeinandertreffen, wird die Balance der Lösung durch das Kohlendioxid gestört. An den Wasser-Gas-Grenzflächen der CO2-Bläschen bleiben weder die adstringierenden Tannine, noch die bitteren Phenole gelöst – sie fallen aus und landen kompakt auf den Geschmacksrezeptoren der Zunge Dieser signalisieren die Phenole einen zu hohen Gehalt an Bitterstoffen, die Tannine zu starke Adstringenz. Die geschmackliche Balance ist dahin, der Trinkgenuss erheblich gestört.
Natürlich treten diese Effekte nur dann ein, wenn von einem kurz zuvor genommenen Schluck noch Rotwein an der Zunge haftet – man nennt das „oral coating“ –, während die umgekehrte Reihenfolge völlig unproblematisch ist, da das Wasser mit CO2 praktisch keine Spuren hinterlässt, mit denen der Rotwein reagieren könnte.
Das geschilderte Phänomen ist auch ein Grund dafür, dass beispielsweise die Grundweine von Champagnern und anderen Pricklern nicht oder nur zum geringen Teil in Barriquefässern ausgebaut werden. Das prickelnde Kohlendioxid ließe sonst die aus den Fässern stammenden Phenole und Tannine in unerwünschtem Maße geschmacklich hervortreten. Last but not least, auch die Kombination von Espresso und Sprudelwasser vermeiden Kenner, da auch die aus dem Kaffee stammenden Bitternoten durch den Sprudel zu sehr verstärkt würden.
Anders sieht die Sache übrigens bei süßen Weinen aus. Deren Zuckermoleküle, meist Glucose, Fructose und kurzkettige Oligosaccharide, sind stark wasserlöslich und binden die Moleküle der Phenole über Wasserstoffbrücken besser ins Gesamtbild ein. Der Geschmack dieser Weine wird durch das CO2-Prickeln kaum verändert. Selbst die zweiwertigen Ionen, die bei Rotweinen die Bitterkeit verstärken, lassen bei Dessertweinen die Flügel hängen. Sie kämpfen mit dem Zucker des Weins um das Wasser und erleichtern dabei das Freisetzen der Weinaromen, vor allem der retronasal wahrnehmbaren würzigen Honigsüße, am Gaumen.
Unser Fazit: Wasser „mit“ passt eher zu süßen, lieblichen oder feinherben Weinen, nicht dagegen zu schweren Rotweinen. Vor allem calcium- und magnesiumreiches Mineralwasser verträgt sich kaum mit tanninhaltigen Roten. Der sensorisch geschulte Weintrinker bevorzugt zu allen Weinen sprudelfreies Wasser geringer Härte aus dem Hahn. Ideal wäre, er brächte sein per Umkehrosmose entsalztes Wasser von zu Hause mit und bestellte zum Wein nur noch ein leeres Wasserglas. Auf die Blicke der Sommeliergilde dürfte man gespannt sein.
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Klingt irgendwie spanisch
Marketinggeschwurbel ... und doch etwas mehr
von Eckhard Supp
Eigentlich, so denke ich mir, müsste die Frage ja doch ganz einfach zu beantworten sein: „Wie teuer sind Ihre beiden Weine denn für den Endverbraucher?“, will ich wissen. Mein Gegenüber schaut perplex in die Runde. Auf so etwas ist er wohl nicht vorbereitet. Dann hebt er an: „‚Faustino Primero‘ ist unsere Linie der großen Jahrgänge. 64, 70 … Da gibt es jetzt eine Gran Reserva von 2008. Bei der ‚Icon Edition‘ handelt es sich um einen besonderen Wein, der 18 Monate in französischer Eiche ausgebaut wurde, aus besonderen Lagen stammt und einen anderen Stil verkörpert.“ Vielleicht hat er die Frage ja nicht verstanden. Zweiter Versuch: „Was kosten denn der ‚Faustino Primero‘ und die ‚Icon Edition‘ und worin besteht der Unterschied zwischen beiden?“ Erneuter Tsunami an Worthülsen: „Grundsätzlich unterschieden die beiden Linien sich durch den Weininhalt (wer hätte das gedacht …). Die Flaschen sind, wie Sie sehen können, nummeriert (ob er jetzt wohl vom „Primero“ oder von der „Icon Edition“ spricht?). Zur Einführung des Weins gab es ungefähr 18.000 Flaschen. Es ist ein sehr erfolgreicher Wein. Die Märkte, Handel und Verbraucher, sagen uns, dass der Wein sehr gut ist. Wir haben keine Bestände mehr, also war er in kommerzieller Hinsicht sehr erfolgreich.“
Ich mache noch einen dritten Versuch, um dann wenigstens einen einen ungefähren Preis der „Icon Edition“ zu erfahren; über dem des „Primero“ liegt nach wie vor der Schleier des Geheimnisses. Wir sitzen am Stand der Rioja-Kellerei „Faustino“ auf der ProWein, mein Gegenüber ist Marketingdirektor Gerardo
Alonso García. Anlass des Gesprächs ist die neue „Icon Edition“ der Kellerei. Warum „Ikone“, hatte ich mich gefragt, als mir die Pressemeldung zum Wein und eine Probeflasche ins Haus geflattert waren. Nicht dass der Wein schlecht gewesen wäre. Ein anständiger, sauberer Rioja eben. Aber eine Ikone? Ein Kultwein? Ein Wein, wie wir ihn erst in der letzten Ausgabe von enos so definiert hatten: „Auf jeden Fall muss ein Kultwein qualitativ zur Spitze seiner Region oder Appellation gehören, er sollte einen im Idealfall kurzen, einprägsamen Namen tragen, der auch in fremden Kulturen einigermaßen unfallfrei auszusprechen ist … und es muss einen Sammlermarkt geben, was gute Alterungsfähigkeit des Weins voraussetzt.“ Kurz: hochwertig, hochpreisig, selten und stark nachgefragt.
Das alles mochte ja in gewissem Maße auf den „Faustino Primero“, den traditionsreichsten und hochpreisigsten Wein der Kellerei, zutreffen. Aber auf diese neue Weinlinie, preislich und qualitativ deutlich unterhalb des Spitzenweins angesiedelt?
„Nein, nein“, winkt mein Gegenüber ab. „Es handelt sich nicht um eine neue Ikone, die wir auf dem Markt etablieren wollen. Es ist immer noch dieselbe Ikone. Es ist die Ikone auf unserem Etikett, das berühmte Gemälde aus dem 17. Jahrhundert. Was wir wollen, ist, einen neuen Traum anzubieten. Wir wollen, dass die Konsumenten etwas anderes ausprobieren.“ Auch mein verdutzter Blick kann die Flut an neuen Floskeln nicht stoppen.
„Und ja, für uns ist auch das eine Ikone, denn Ikone ist für uns etwas, das leicht durch seine Qualität, aus seiner Geschichte erkannt werden kann. Viele Menschen in der Welt kennen ‚Faustino‘, und wir präsentieren jetzt einen neuen Wein mit dieser zeitlosen Ikone.“ „Zeitlose Ikone“ – das muss bei den Verantwortlichen der Marke „Faustino“ so etwas wie das neue Mantra sein. Ich bekomme es jedenfalls in den nächsten Minuten noch mindestens ein Dutzend Mal zu hören.
Und ich erfahre sogar, worin sich der Stil beider Weine unterscheidet: „Nun, die Differenz betrifft den Ausbau, die Anzahl Monate, die die Weine im Fass liegen. Der hier ist eine Reserva, der lagert acht Monate in der Eiche, der ‚Primero‘ dagegen 26 Monate. Das ist wirklich ein Unterschied.“
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, denke ich mir und grabe weiter. Und bekomme langsam eine Idee davon, was mit dieser „Ikonenausgabe“ tatsächlich
gemeint ist. Es geht gar nicht um eine Weinikone. Zu der ein Wein ja auch nicht durch die Marketingentscheidung einer Kellerei würde, sondern nur durch eine lange Erfolgsgeschichte am Markt. Vielmehr geht es darum, die Marke „Faustino“ zu erweitern, wie García es formuliert. „Wenn wir von einer zeitlosen Ikone sprechen, bedeutet das, dass wir eine starke Marke kreieren wollen, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Von einer Ikone, die sich im Gedächtnis der Weinfreunde einprägt … Die neue ‚Icon Edition‘ soll etwas moderner sein als der ‚Primero‘, soll Konsumenten ansprechen, die den ‚Primero‘ bisher noch nicht kannten.“
„Die Marke öffnen“, ist eine weitere der Worthülsen, die ich jetzt in einer Art Endlosschleife zu hören bekomme. Als ob die Marke „Faustino“ mit ihren unzähligen Linien und Produkten nicht schon offen genug wäre. „Wir haben ja nicht nur den ‚Faustino Primero‘, sondern auch Cavas, Einsteigerweine wie die verschiedenen ‚Faustino VII‘, ‚Faustino V‘, ‚Faustino‘ ohne Nummer und die neuen Bioweine“, weiß García selbst. Und fügt hinzu: „Aber die gibt es ja alle schon, und wir wollen weiter wachsen.“
Ich atme tief durch. Nach einer halben Stunde Fragens und Bohrens habe ich es endlich geschafft. Ich weiß jetzt, was mit dieser „Ikonen“-Geschichte offenbar gemeint ist: Man hat bei „Faustino“ gemerkt, dass mit den existierenden Weinlinien kein Wachstum mehr möglich ist und eine neue auf den Markt geworfen. Die man dann frech als „Ikone“ bezeichnet. Ohne Rücksicht darauf, ob der Wein Emotionen weckt, ob er eine eigene Geschichte zu erzählen hat, ob er qualitativ und preislich überhaupt etwas von einer „Ikone“ hat. Offenbar gehört zum Weingeschäft noch viel mehr Chuzpe, als ich es bisher für möglich gehalten habe.
Dass es auch anders geht, beweisen mir wenig später Generaldirektor und Marketingchef des Rioja-Kontrollrats. Der hatte kurz vor der ProWein eine Pressemitteilung verschickt, die ihrerseits mehr Fragen aufwarf, als sie beantwortete. „Saber quién eres“, wissen, wer man ist, laute, so das Schreiben, der neue Slogan, die neue Botschaft, mit der man Rioja in Zukunft vermarkten wolle. Rioja sei, das wolle man dem Verbraucher vermitteln, eine „authentische, handwerkliche, aufgeschlossene und flexible Region“.
Klar doch! Ist man gerne! Aufgeschlossen, authentisch, flexibel. Und natürlich ist beim Wein handwerklich immer positiver besetzt als industriell. Man sei den eigenen Prinzipien treu geblieben, heißt es weiter. Welchen Prinzipien, frage ich mich unwillkürlich. Und aufgeschlossen wem oder was gegenüber, flexibel in welcher Richtung? Was ist denn nun besonders authentisch und was soll transparent werden? Auch hier keine Antworten. Inhalte erst mal Fehlanzeige. Worthülsen, Geschwurbel.
Nur, beim Graben und Wühlen bin ich jetzt im Training. Und so lasse ich nicht locker. Sind auch das nur olle Kamellen, die Etiketten nur Schwindel? Die Geschichte dieser ältesten Appellation Spaniens, ihre Traditionen, das seien doch Werte, die man kommunizieren könne, lerne ich.
Geschichte ein Wert? Tradition ein Wert? Und warum stellt man das ausgerechnet jetzt so heraus? „Nun, der Punkt ist, dass wir früher eher mit emotionalen Botschaften geworben haben“, weiß José Luis Lapuente, der Generaldirektor. „‚Celebrar la vida“, das Leben feiern, hieß deren letzte. Ohne auf diesen Slogan zu verzichten, kommunizieren wir jetzt eher unsere traditionellen Werte und Regeln. Die auch für den Verbraucher klar identifizierbar sein müssen. Und denken Sie daran, dass wir in einer sehr schwierigen Zeit leben. Wir haben auf der einen Seite die Gründer unserer Familienweingüter, die erste Generation aus den 1970er und 1980er Jahren. Die machten Weine entsprechend ihren Überzeugungen und so, wie sie es für richtig hielten. Jetzt aber ist die nächste Generation an der Arbeit. Die schon um die ganze Welt gereist ist, die neue Weinstile kennengelernt, in Chile, Argentinien oder anderen Ländern gearbeitet hat. Die kommen jetzt zurück ins Riojagebiet und wollen viel erneuern.“
Ich fange an zu begreifen. Die Marketingkampagne zielt also gar nicht primär auf den Endverbraucher, sondern ist eher als Mahnung an die eigenen Leute gedacht? „Ja, es ist eine Botschaft an den Endverbraucher, aber auch an unsere Weinmacher. Sie soll ihnen sagen: ‚Denk daran, wer du bist!‘“ Der Marketingchef ergänzt: „Unsere Kampagne will sagen: ‚Konzentriert Euch auf das Besondere, das Exklusive eurer Weine. Auf eure Alleinstellung am Markt. Schafft ihr das nicht, werdet ihr scheitern!‘“
Eine Marketingkampagne zur Selbstdisziplinierung der Mitglieder. Das ist mal wirklich was Neues. Aber sie enthält noch mehr: nämlich den Versuch wirklichen
Storytellings. Herr Generaldirektor hat Recht: „Wenn Sie verschiedene Regionen besuchen, können Sie ganz unterschiedliche Weine probieren. Alle sind großartig. Deshalb reicht es nicht mehr, dem Konsumenten zu erzählen, dass unsere Weine gut sind. Sie müssen es schaffen, dass er sich an Ihre Weine erinnert. Und der einzige Weg dahin ist, ihm Persönlichkeiten vorzustellen. Individuelle Geschichten und Schicksale zu erzählen. Es ist das, was wir bereits auf unserem Fernsehkanal TV-Rioja und in unseren Videoclips auf auf saberquieneres.riojawine.com versuchen.“
Dem ist dann tatsächlich nichts mehr hinzuzufügen. Es ist nun ausnahmsweise einmal sowohl absolut richtig als auch klar verständlich. Wenn man sich durch das Geschwurbel gegraben hat.
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Flüssige Träume
Best of ... Riesling Challenge 2018
So schnell ändern sich die Zeiten. Vor einigen Jahren lautete das Verdikt einer unserer Verkostungen noch, Franken bringe zwar herrliche Silvaner hervor, zeige bei den Rieslingen aber deutliche Rückstände gegenüber Mosel, Rheingau oder Pfalz. Und dann dieser 2015er Jahrgang ... in dem gleich zwei fränkische Rieslinge die Kategorie der trockenen Rieslinge gewinnen konnten. Zwar rückte schon der Folgejahrgang 2016 die Dinge wieder ins (gewohnte) Lot, mit einem herrlichen Großen Gewächs aus der Hochheimer Hölle von Künstler, dem gleichen Wein, der auch im letzten Jahr die Kategorie der jungen trockenen Rieslinge gewonnen hatte, aber das Signal der 2015er Resultate ist angekommen: Auch Franken gehört mittlerweile zu den großen Rieslingregionen Deutschlands.
Der Vergleich der beiden Jahrgänge fällt bei der Betrachtung der Challenge-Verkostungen interessant aus. Zwar lagen beide hinsichtlich des Anteils der mit fünf Sternen prämierten Weine in etwa gleichauf, aber nur beim 2015er konnten wir in den letzten beiden Jahren zwei trockene Rieslinge als „Traumweine“ auszeichnen – hinzu kam in beiden Jahrgängen jeweils ein edelsüßer Riesling.
Die Verkoster bei der diesjährigen Ausgabe des enos-Challenge waren Elisabeth Füngers (Gastronomin), Andreas Allermann (Hobbykoch), Eberhard Jourdan (Weinhändler), Eckhard Supp (Herausgeber enos), Jakob Becker (Weinhändler) und Imtiaz Alikhan (Weinsammler).
Die besten trockenen Rieslinge 2016
Künstler (Hochheim) – Hochheimer Hölle Großes Gewächs
Julius Ferdinand Kimich (Deidesheim) – Deidesheimer Grainhübel Spätlese trocken
Philipp Kuhn (Laumersheim) – Kallstadter Steinacker QbA trocken, Laumersheimer Kirchgarten Großes Gewächs
Eifel-Pfei
er (Trittenheim) – Graacher Domprobst Der Wurzelechte QbA trocken
Heymann-Löwenstein (Winningen) – Winninger Uhlen Laubach Großes Gewächs, Mosel Riesling Schieferterrassen QbA trocken
Hermann Grumbach (Lieser) – Bernkastel-Kueser Weisenstein Saxigenum QbA trocken
Maximin Grünhaus (Mertesdorf) – Maximin Grünhäuser Herrenberg Großes Gewächs
Felix Waldkirch (Rhodt) – Edenkobener Rote Heide QbA tr.
Die besten trockenen Rieslinge 2015
Horst Sauer (Escherndorf) – Escherndorf Am Lumpen Großes Gewächs
Juliusspital (Würzburg) – Würzburger Stein Großes Gewächs
Felix Waldkirch (Rhodt) – Weyherer Michelberg QbA trocken
Stern (Hochstadt) – Forster Ungeheuer Riesling *** QbA trocken
Heinrich Spindler (Forst) – Forster Pechstein QbA trocken
Dr. Heyden (Oppenheim) – Oppenheimer Sackträger Alte Reben QbA tr.
Nicht nur Franken ... die schönsten Silvaner
Es waren weniger Weine als beim letzten Mal, die zum diesjährigen Silvaner-Challenge von enos angestellt wurden, dafür aber war der Anteil an wirklich hervorragenden Flaschen etwas größer. Besonders erfreulich: Auch nicht-fränkische Erzeuger finden immer wieder Gefallen an diesem kleinen Wettbewerb ...
und schneiden dabei auch gut ab. Vielleicht kann diese Tatsache ja im nächsten Jahr noch mehr Erzeuger aus Rheinhessen und der Pfalz motivieren, ihre wirklich guten Weine bei uns anzustellen.
Eindeutiger Gewinner bei den 2016er Weinen war die Würzburger Abtsleite des Juliusspitals, die nur knapp an der Bewertung als „Traumwein“ vorbeischrammte. Knapp dahinter kamen Horst Sauer, das Bürgerspital, Wirsching und Glaser-Himmelstoss ins Ziel. Bei den 2015ern siegte der üngersheimer Johannisberg Rothlauf von Rudolf May vor dem Flomborner Feuerberg von Michel-Pfannebecker aus Rheinhessen.
Insgesamt zeigte der erstmals von uns verkostete Jahrgang 2016 gute, gleichmäßige Qualitäten. Auffällig war sowohl, dass der Alkoholgehalt der angestellten Weine innerhalb einer ungewohnt engen Spanne lag, als auch, dass die Weine nach dem Öffnen der Flasche viel Zeit brauchen, bis sie ihre Charakteristika richtig entfalten. Eigentlich ein gutes Zeichen, oder?
Die besten Silvaner 2016
Juliusspital (Würzburg) – Würzburger Abtsleite QbA trocken
Horst Sauer (Escherndorf) – Eschendorfer Am Lumpen Großes Gewächs
Bürgerspital zum Heiligen Geist (Würzburg) – Würzburger Innere Leiste QbA trocken, Würzburger Pfaenberg QbA trocken
Hans Wirsching (Iphofen) – Iphöfer Kronsberg QbA trocken
Glaser-Himmelstoss (Nordheim) – Dettelbacher Berg Rondell QbA trocken
Schmitt‘s Kinder (Randersacker) – Randersackerer Pfülben Großes Gewächs
Trockene Schmitts (Randersacker) – Randersackerer Sonnenstuhl Spätlese trocken, Randersackerer Sonnenstuhl Alte Reben Spätlese trocken
Bardorf (Randersacker) – Randersackerer Marsberg Alte Reben RR Spätlese trocken
Die besten Silvaner 2015
Rudolf May (Retzstadt) – Thüngersheimer Johannisberg Rothlauf Großes Gewächs
Michel-Pfannebecker (Flomborn) – Flomborner Feuerberg Selection Rheinhessen QbA trocken
Juliusspital (Würzburg) – Würzburger Stein Großes Gewächs, Iphöfer Julius-Echter-Berg Großes Gewächs
Schmitt‘s Kinder (Randersacker) – Randersackerer Marsberg Alte Reben QbA trocken
Pinotschland
Es ist die alte Diskussion: Sind die deutschen Spätburgunder inzwischen so gut wie die Weine von der Côte d‘Or oder haben die Franzosen immer noch
die Nase vorn. Nun, wenn man unsere Bewertungen der besten Weine aus beiden Welten betrachtet, dann wird man nicht umhin kommen, den Gewächsen aus dem
Burgund immer noch einen kleinen Vorsprung hinsichtlich Aromatik und Struktur zu attestieren, aber der ist inzwischen wirklich klein. So klein, dass man sich zu Recht fragen darf, ob dieser Vorsprung die immer noch enormen Preisunterschiede rechtfertigt.
Baden und die Pfalz waren die großen Gewinner unseres diesjährigen Spätburgunder-Challenge. Das muss an sich nicht überraschen. Auffällig war beim Betrachten der Resultate unserer Verkostungen dagegen sowohl, dass andere Weinbaugebiete wie etwa Franken oder der Rheingau diesmal extrem wenige Pinots angestellt hatten, als auch die Tatsache, dass die Mosel eine kleine, aber sehr feine Serie Rotweine präsentieren konnte. Ob die Sorte für die Riesling-Spezialisten von den Steilhängen zwischen Winningen und Trier zu einem neuen, lohnenden Geschäftsmodell werden kann?
Die besten Stpäburgunder der enos-Challenges 2018
Knab (Endingen) – Endinger Engelsberg Spätburgunder *** QbA trocken 2015, Endinger Engelsberg Spätburgunder *** “R” QbA trocken 2015
Wilhelmshof (Siebeldingen) – Siebeldingen im Sonnenschein Spätburgunder Alte Reben Wilhelm Spätlese trocken 2015
Lidy (Frankweiler) – Frankweiler Kalkgrube Spätburgunder QbA trocken 2015, Frankweiler Biengarten Spätburgunder QbA trocken 2015
Horst Sauer (Escherndorf) – Escherndorfer Fürstenberg Spätburgunder S QbA trocken 2014
Stromberg-Zabergäu (Brackenheim) – Württemberg Spätburgunder Epos I QbA trocken 2014
Schlossgut Ebringen (Ebringen) – Ebringer Leinele Pinot noir QbA trocken 2015
Philipp Kuhn (Laumersheim) – Laumersheimer Steinbuckel Pinot noir Großes Gewächs 2014
Aufricht (Stetten) – Meersburger Mocken Spätburgunder Isabel 3 Lilien QbA trocken 2015
Süße Rieslingschmankerl
Es ist immer wieder ein Erlebnis, edelsüße deutsche Rieslinge aus guten Jahrgängen zu verkosten. Die Geschmacksexplosion, die diese Weine bei stimmigem Süße-Säure-Verhältnis am Gaumen auslösen, ist mit nichts vergleichbar – nicht mit dem Geschmack der renommiertesten Sauternes, nicht mit dem süßer Dessertweine von der iberischen Halbinsel und auch nicht mit dem der Ausbrüche vom Neusiedlersee, vom einen oder anderen dünnen „ice wine“ aus der Neuen Welt ganz zu schweigen. Insofern waren wir gut beraten, beim diesjährigen enos-Challenge diese Kategorie wieder auszuschreiben.
Dass dann die fränkischen Winzer gleich drei Sieger stellen sollten, hätten wir allerdings nicht erwartet. Offenbar haben zwischen Maindrei- und -viereck viele Erzeuger in den letzten Jahren richtig „Gas gegeben“, und das nicht nur bei den Silvanern und trockenen Rieslingen. Eher zu erwarten war da schon das Ergebnis in der Kategorie der restsüßen Rieslinge 2015, bei der die Mosel vier der fünf Siegerweine stellte. Und zwar nicht nur mit süßen Spätlesen, sondern auch mit den in Deutschland ansonsten eher stiefmütterlich behandelten Weinen der Qualitätsstufe Kabinett.
Die besten restsüßen Rieslinge 2016
Würtzberg (Serrig) – Serriger Herrenberg Spätlese
Von Othegraven (Kanzem) – Ockfener Bockstein Kabinett
Juliusspital Würzburg (Würzburg) – Würzburger Kabinett
Maximin Grünhaus (Mertesdorf) – Maximin Grünhäuser Abtsberg Spätlese, Maximin Grünhäuser Herrenberg Kabinett
Edelsüße Riesling-Schmankerl
Glaser-Himmelstoss (Nordheim) – Nordheimer Vögelein Trockenbeerenauslese 2015 und ex-aequo
Horst Sauer (Escherndorf) – Escherndorfer Lump Beerenauslese 2016
Stefan Bardorf (Randersacker) – Randersackerer Marsberg Trockenbeerenauslese 2014
Bernhard Ellwanger (Großheppach) – Geradstettener Lichtenberg SL Auslese 2016
Milz-Laurentiushof (Trittenheim) – Trittenheimer Apotheke Auslese 2015
Albert Kallfelz (Merl) – Merler Königslay-Terrassen Auslese 2016
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Die Beaujolais-Story
mit Eric Janin
„Es war einmal …“, so beginnen viele Märchen. Und sie schließen in der Regel mit einem Happy End: „… und wenn sie nicht gestorben sind, dann …“. „Es war einmal …“, könnten auch die Winzer des französischen Beaujolais, einer Hügellandscha« des südlichen Burgund, erzählen. Nur wird man bei deren Geschichte wahrscheinlich noch eine ganze Weile auf einen glücklichen Ausgang warten müssen. enos fuhr nach Romanèche-Thorins und ließ sich von Eric Janin, einem der bekanntesten Winzer der Region, erzählen, warum dieser Geschichte kein rasches Happy End gegönnt war.
„… ein genialer Weinhändler aus dem Örtchen Crêches-sur-Saône“, würde die Geschichte weitergehen und von einem Marketinggenie handeln, das sich Anfang der 1950er Jahre, gerade mal 17 Jahre alt, aufmachte, die Weinlandschaft seiner Heimatregion so gründlich umzukrempeln wie wohl kein zweiter vor ihm und nach ihm in der großen Weinwelt. Die Rede ist von Georges Duboeuf. Viel Neues erfinden musste er dabei nicht, denn die Zutaten für das, was Duboeuf ersann, existierten schon vorher. Dazu gehörten sowohl die Rebsorte Gamay, die auf den meisten Böden des Beaujolais-Gebiets eher fruchtbetonte, rasch zu trinkende Weine hervorbrachte – in nördlicheren Teilen des Burgund war sie wohl deshalb auch schon 1395 von Philipp dem Kühnen verboten worden –, als auch eine spezielle Art der Weinbereitung.
Diese so genannte „vinification beaujolaise“ bediente sich einer speziellen Gärtechnik, bei der der Großteil der Trauben zunächst ungemahlen bzw. ungequetscht in einen Tank mit einer kleinen Menge schon gärender Trauben und daher voller Kohlendioxid gegeben wird, wo ihre Enzyme unter Luftabschluss damit beginnen, im Inneren der noch intakten Beeren Aromastoffe zu produzieren. Erst abschließend kommt es zu einer klassischen Maischegärung. Das Resultat dieser Prozedur sind Weine, die schon nach wenigen Tagen oder Wochen trinkfertig sind, die allerdings sehr oft auch nur wenige Wochen oder Monate genießbar bleiben.
„Das alles“, überlegt Eric Janin, „gab es schon vor Duboeuf. Das Beaujolais war ja traditionell ein Weinbaugebiet mit zwei verschiedenen Weintypen. Auf der einen Seite die ‚crus‘, die Lagenweine wie Moulin-à-Vent, Fleurie oder Morgon, Weine hoher Qualität von Granitböden, die gute Alterungsfähigkeit besaßen. Auf der anderen Seite die der generischen Appellationen Beaujolais oder Beaujolais Villages, wo man Weine von einem andern Schlage kelterte. Die waren süffig und sehr aromatisch, leckere Weine, die sich aber sicher nicht für längeres Reifen eigneten.“
Und es gab ja für diese Weine auch eine starke Nachfrage. Europa hatte ja gerade erst die Reblauskatastrophe und den Zweiten Weltkrieg überstanden. Da kam der Gamay, der im Unterschied zu anderen Rebsorten früh trinkreif war, gerade recht. Lyon und vor allem auch Paris verlangten solche Weine; auf der Achse Belleville, Beaujeu, Charlieu zirkulierten enorme Weinmengen. Der wirkliche Durchbruch aber kam, als Duboeuf es schaffte, das Image dieser Weine mit einem Event zu verknüpfen.“
Die Gelegenheit dazu bot ein Dekret von September 1951. Mit dem wurde zwar festgelegt, dass Beaujolais erst vom 15. Dezember des Erntejahres an verkauft werden dürfe, aber schon wenige Wochen später wurde auf Protest der Winzer hin in einem weiteren Erlass festgelegt, dass dieses Datum unter gewissen Umständen nicht bindend sei. Der Erlass gilt heute als offizieller Geburtstermin des Beaujolais Primeur alias Nouveau. Duboeuf schaffte es in den folgenden Jahren, den Verkaufsbeginn dieses Weins zu einem medialen Ereignis zu machen: 1967 wurde dafür einheitlich der 15. November festgelegt, seit 1985 gilt der dritte November-Donnerstag als Stichtag.
Die Maschinerie, die der später als „Papst des Beaujolais“ Apostrophierte in Gang setzte, war gewaltig, und alle Welt wollte bei dem Spiel mitmachen. In den Hochzeiten des Nouveau wurden die frisch gekelterten Weine mit großem logistischem Aufwand schon ein wenig vor dem offiziellen Verkaufsstart containerweise in alle vier Winde verschickt, um dann pünktlich am gleichen Tag unter gebührlicher Begleitung der Medien erstmals geöffnet zu werden. „Le Beaujolais Nouveau est arrivé“, der Nouveau ist angekommen, wurde zum Schlachtruf der hippen Gesellschaft von New York bis Tokyo.
Und die „crus“, die ja vor der Karriere des Nouveau durchaus anerkannt waren? „Nicht nur anerkannt. Die Morgons, Moulin-à-Vents, Fleuries waren ja wirklich große Weine, Weine, die hier im Gebiet sonntags aus dem Keller geholt wurden. Und natürlich gab es die auch weiterhin. Nur, dass sie langsam aus dem Bewusstsein der Leute verschwanden. Das hatte auch historische Gründe: Diese ‚crus‘ waren nämlich nie als ‚Beaujolais‘ vermarktet worden. Man fand sie auf den Karten der Restaurants und Weinhandlungen als ‚Bourgogne‘ mit dem Zusatz ihres Lagennamens. Das war vom Gesetz her möglich, denn das Beaujolais gehört weinbaurechtlich zum Burgund, und es war auch deshalb populär, weil man von gutem Gamay immer schon sagte, ‚il pinote‘, er zeigt Charakteristika des Pinots. Die ‚crus‘ waren also nie unter dem Namen Beaujolais wahrgenommen worden, das ließ sie rasch ins Hintertreffen geraten. Je mehr die Leute vom Beaujolais Nouveau sprachen, desto seltener tranken sie noch die ‚crus‘.“
Das Schlimme war, dass mit wachsendem kommerziellem Erfolg ein qualitativer Niedergang des Beaujolais Nouveau einherging. Es gab damals eine bedeutende Persönlichkeit im Gebiet, Jules Chauvet, der die besondere Gärtechnik der Region immer extremer machte: Der Anteil der Trauben, die anfangs normal angegoren wurden, verringerte sich immer mehr, der Anteil derjenigen, die durch ihre eigenen Enzyme „vergoren“ wurden, immer größer. Das machte man, weil man entdeckt hatte, dass sich dadurch die Aromafülle des vergorenen Weins ins Extrem steigern ließ. Die Weine wurden noch fruchtbetonter, noch rascher trinkreif, noch „süffiger“, aber auch noch einfacher und noch weniger lagerfähig. Das gigantische Marketingmanöver namens „Beaujolais Nouveau“ hatte der einst sehr armen Region wirtschaftlich gut getan – zumindest erst einmal –, der Weinqualität aber nicht.
Es kam, wie es kommen musste: Auf den gigantischen Siegeszug folgte der gnadenlose Untergang. Janin erinnert sich: „Praktisch seit den 1990er Jahren kennen die Verkaufszahlen nur noch eine Richtung: abwärts. Zuerst nur in Frankreich, dann auch in historisch wichtigen Märkten wie Belgien. Heute ist auch der japanische Markt im freien Fall, und China oder andere neue Märkte können das nicht ausgleichen. Man klebt Pflaster auf Pflaster, aber die Wunde bleibt. Das Schicksal einer ganzen Region von einem Event abhängig zu machen, das kann eben nur eine Zeit lang funktionieren.“
Irgendwann verstanden auch die Winzer des Gebiets, dass da mehr auf dem Spiel stand als der Erfolg eines zeitlich beschränkten Marketingmanövers. Nach und nach setzte sich der Verdacht fest, dass nachhaltiger Erfolg auch etwas mit Weinqualität zu tun haben könne. „Und seit 10, 15 Jahren“, so Janin, „besuchen uns wieder mehr Journalisten, die sich für die in Vergessenheit geratenen ‚crus‘ interessieren. Heute ist Bewegung in den Weinbau des Beaujolais gekommen. Auf der Seite der ‚crus‘, glücklicherweise. Die Verbraucher besuchen wieder unsere Keller, Gastronomen, Weinhändler ebenfalls. Und wir haben junge Winzer, Weinmacher, die gut ausgebildet sind, deren Betriebe gut ausgestattet sind und die wieder Qualität produzieren. Schritt für Schritt. Qualität, die man vorher nicht zu erzeugen in der Lage war.“
Heute ist Eric Janin wieder stolz, sich als „Winzer aus dem Beaujolais“ vorzustellen, „der Moulin-à-Vent keltert“ – Betonung auf dem Namen des „crus“. Die „vinification beaujolaise“ ist bei den meisten dieser jungen, qualitätsbesessenen Winzer wieder „out“. Nur der eine oder andere hält für einen Teil seiner Weine daran fest. Fast alle sind wieder zur klassischen Maischegärung zurückgekehrt. So wie Thibault Liger-Belair auf seiner Domaine des Pierres Roses, der mit seinen Moulin-à-Vent-Füllungen zusammen mit der Domaine Labruyère so etwas wie die Speerspitze der neuen Qualitätsbewegung bildet.
Die Bezeichnung „Beaujolais“ auf dem Etikett lassen viele der neuen Spitzenerzeuger ganz weg, wie die Domaine Bel Air in Lantigné, oder sie verstecken sie kaum auffindbar in Pflichtbezeichnungen für die angelsächsischen Märkte: „Beaujolais wine“.
Der Anfang ist gemacht, bleibt die Aufgabe, auch die Märkte von dieser neuen Qualität der „crus“ des Beaujolais
zu überzeugen. Vielleicht gibt es ja dann doch irgendwann einmal ein Happy End der traurigen Geschichte vom Wein des dritten November-Donnerstags.
Fotos, soweit nichts anderes angegeben © Eckhard Supp