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Art in the winelands

Kunst und Weinbau sind eine auf der ganzen Welt beliebte Paarung, und das zumindest, seit ein gewisser Baron Philippe de Rothschild im Bordelais vor fast 80 Jahren damit anfing, sich das Etikett seines besten Weins jedes Jahr von einem anderen Künstler gestalten zu lassen – darunter so renommierte Namen wie Braque, Dali, Miró, Picasso, Baselitz, de Saint-Phalle oder Gerhard Richter. Vor allem in den letzten Jahrzehnten hat die bildende Kunst – nicht selten im Gespann mit architektonischer Extravaganz – fast jedes Anbaugebiet rund um den Globus in den Griff genommen. Mal sind es ganze Gemäldegalerien, mal einzelne Skulpturen im Weinberg, dann wieder kunstvoll gestaltete Gebäudefassaden. Sie alle haben vor allem eine Funktion: Besucher und damit Kunden für die eigenen Weine anzulocken. Den Vogel bei dieser Art des Marketings hat wohl Südafrika abgeschossen, wo in den letzten Jahrzehnten gleich mehr als ein Dutzend Weingüter und Kellereien die Kunst für sich entdeckten.

„Faith“, „Glaube“, heißt die Sieben-Meter-Skulptur des Südafrikaners Anton Smit, die im Walker-Bay-Weingut Benguela Cove die Mündung des Bot Rivers in den Atlantik überragt. Angesichts der riesigen Weingutsanlage, seit einigen Jahren im Besitz der britisch-südafrikanischen Unternehmerin Penny Streeter, fragt man sich instinktiv, ob damit der Glaube an die Macht des Geldes gemeint sein könnte. (Fotos: E. Supp)

Die Paradieskluft, auf Afrikaans Paradyskloof, gilt im südafrikanischen Weinbau als eine der allerersten Adressen für Spitzenweine. Im Umkreis von wenigen Kilometern findet man hier, an den Hängen des Helderbergs und unweit der Weinbauhauptstadt Stellenbosch, Weingüter, die seit langem für Exzellenz stehen: Waterford, Rust en Vrede, Ernie Els, Uva Mira oder Dornier sind nur einige der bekanntesten. Auch der Vriesenhof, das Weingut des einstigen Springboks – so nennt sich das nationale Rugby-Team – Jan Boland Coetzee gehört dazu. Viele der Besucher, die auf den letzten, staubigen Kilometern des Paradyskloof Way in Richtung der Berge unterwegs sind, interessieren sich allerdings höchstens nebenbei für dessen ausgezeichnete Rotweine.

Ihr Ziel ist in der Regel der direkt hinter dem Vriesenhof gelegene Skulpturengarten des in Johannesburg geborenen Bildhauers Dylan Lewis. Anders als im Fall von Skulpturengärten in anderen Teilen der Welt, die Lewis nicht zufällig als seine Vorbilder benennt – der Tarotgarten von Niki de Saint-Phalle in Pescia Fiorentina an der Grenze zwischen Toskana und Latium etwa oder, sozusagen in letzter Instanz, auch der von Antoni Gaudí gestaltete Parc Güell in Barcelona wie auch der Garten Claude Monets im normannischen Giverny –, hat Lewis allerdings nicht nur einen Park angelegt und seine Skulpturen darin platziert, sondern musste erst einmal aus dem flachen Gelände am Fuß des Helderbergs seine eigene Landschaftsskulptur modellieren.

Eine atemberaubende mythische Welt erwartet den Besucher im Skulpturengarten von Dylan Lewis am Paradyskloof im Süden von Stellenbosch. Die Skulpturen tragen so rätselhafte Namen wie „trans figure XXII“ (o.) oder „mail trans figure IX“ (u.).

Mit der Hilfe zweier Bulldozer-Fahrer – seinen verlängerten Armen, wie es in der Darstellung des Künstlers heißt – legte er Hügel und Täler an, staute Seen auf, pflanzte Bäume und Sträucher. Eine verwunschene, mystische Welt entstand dabei, die von ebenso mystischen Figuren bevölkert wird – „Monumental Torso“, „Trans Figure“, „Buffalo Bull Pair“ oder „Mail Trans Figure” heißen die. Wobei sich der unbefangene, aber in der Geschichte des Weinbaus von Stellenbosch bewanderte Besucher beim Anblick der vor den mächtigen Granitfelsen des Helderbergs gebeugten „Mail Trans Figure I“, die sich mit einem ihrer langen Arme auf den Boden stützt, unwillkürlich fragt, ob die Gestalt nicht als Hommage an den legendären „Springbok“-Nachbarn aus dem Vriesenhof gelesen werden kann. Sozusagen eine Darstellung des Haklers im Gedränge, wie es in der Sprache der Sportler heißt.

Trotz der atemberaubenden Skulpturen, an denen sich das Auge nicht sattsehen kann, wirkt das Gesamtkunstwerk des Lewis’schen Skulpturengartens an keiner Stelle überladen oder laut. Ganz im Gegensatz, so ist man versucht zu notieren, zur Darbietung der sage und schreibe mehr als 350 Kunstwerke, die den Besucher im Weingut Delaire Graff auf dem Helshoogte Pass zwischen Stellenbosch und Franschhoek erwarten. Dicht an dicht sind hier Wände, Fluren und Außenanlagen mit Gemälden und Skulpturen bestückt – kaum ein bekannter südafrikanischer Künstler, dessen Werke hier nicht vertreten wären. Natürlich findet man darunter Geparden von Dylan Lewis, eine Reihe von Werken Anton und Lionel Smits – Vater und Sohn – sowie auch eine kleinere Ausgabe der eingangs erwähnten „Faith“-Figur von Benguela Cove. Aber obwohl die eine oder andere Skulptur recht augenfällig platziert ist, riskiert das insgesamt recht eklektische Ensemble doch, den Besucher durch die schiere Anzahl der Kunstwerke zu erschlagen.

Vor der mächtigen Kulisse der Helderberg Mountains hat der Künstler Dylan Lewis seinen Skulpturengarten in die Landschaft modelliert. Ob die Figur der „mail trans figure 1“ wohl eine Hommage an den Besitzer des benachbarten Vriesenhofs sein soll – einst ein gefeierter südafrikanischer Rubgyspieler?

Nicht zufällig wohl, dass gleich am Eingang zum Restaurant- und Kellertrakt ein großes, überdimensioniertes Portrait des Eigners all dieses Pomps und Prunks auf den Besucher wartet, der nach eigenen Angaben als einer der „biggest collectors“, der größten Kunstsammler der Welt gilt. In die Wiege gelegt war Laurence Graff das allerdings nicht. Mit 15 hatte er die Schule verlassen und sich zeitweise als Kloreiniger sein Geld verdient. Heute ist er Herr über weltweit 63 Juweliergeschäfte – eines davon natürlich hier im Weingut –, und die Liste der diamantenen Klunker, mit denen er im Laufe der Jahre handelte, wirkt noch atemberaubender als die der gehorteten Kunstschätze: Idol’s-Eye, Kaiser-Maximillian, Porter-Rhodes, Windsor, Hope-of-Africa, Begum-Blue, Paragon, Star-of-America und, last but not least, seit wenigen Jahren auch der Lesedi-La-Rona-Diamant mit einem Wert von 45 Millionen Euro.

Wem das alles zu viel des Guten ist, der findet gleich auf der anderen Seite der Passstraße zwischen Stellenbosch und Franschhoek das ruhigere, besinnlichere Kontrastprogramm. Und auch das künstlerisch anspruchsvollere. Tokara – nach den Namen der beiden Kinder, Thomas and Kara – heißt das Weingut von Gerrit Thomas („GT“) und Anne-Marie Ferreira, das als eines der ersten im Lande schon vor zehn Jahren das Thema Kunst im Weinland für sich entdeckte und nutzte. Anne-Marie, die hinter dem Projekt steckt, wirkt nicht wie jemand, der mit Masse protzen muss und bei dem nur Dollarzeichen in den Augen blitzen. Schon die Trennung in einen öffentlichen Teil in Form einer Art Open-Air-Galerie rund um den Delikatessen-Shop des Weinguts, deren Werke zum Verkauf stehen, und dem interessanteren und intimeren privaten Teil hinter dem meist verschlossenen Tor zum Wohnsitz der Ferreiras – dem originären Nukleus Tokaras vom Anfang der 1990er Jahre, während die Idee mit dem Weingut erst später entstand –, spricht dafür, dass hier Kunstliebhaber und -kenner am Werk sind.

„Manchmal versinkst du, fällst hinab in dein Schweigeloch, in deinen Abgrund stolzen Zorns.“ Diese Anfangszeilen von Pablo Nerudas Gedicht „Der Brunnen“ hat der Künstler Anton Smit seiner Skulptur (o.) mitgegeben, die den Garten des Weinguts Delaire Graff verziert. Leider sind die vielen Kunstwerke aus der Sammlung von Laurence Graff nur selten so gut platziert wie die „hieros gamos“, die heilige Hochzeit von Deborah Bell (u.), bei der dem Besucher ausreichend Abstand bleibt, um das Kunstwerk gebührend betrachten zu können.

Was ebenfalls überzeugt, ist die Tatsache, dass die Ferreiras mit der bekannten Kunsthistorikerin Ilse Schermers-Griesel, selbst Eignerin einer Galerie in Stellenboschs Dorp Straat und seit nunmehr 40 Jahren im Kunstbusiness tätig, für ihr Projekt eine Kuratorin von Format gewinnen konnten. Ihre Begeisterung für die Kunst hat Schermers von ihrer Mutter geerbt, einst Direktorin eines nationalen Kunstfonds, von der die Idee stammte, eine Wechselausstellung für Bildhauer zu initiieren. Der Erfolg war durchschlagend und änderte, so das einhellige Urteil, den südafrikanischen Markt für Skulpturen einschneidend. Viele der Künstler, die Mutter und Tochter Schermers bei ihrer Arbeit entdeckten, machten anschließend auch international Karriere.

Dabei ist das Ganze natürlich auch hier nicht selbstlos. Nicht nur, dass auf Tokara – im Unterschied zu Delaire Graff – der öffentlich zugängliche Teil der ausgestellten Kunst zum Verkauf steht, auf beiden Gütern soll die Kunst natürlich vor allem Besucher und Kunden anlocken. Karl Lambour, General Manager auf Tokara, macht aus der Tatsache ebensowenig ein Geheimnis wie die Verantwortlichen auf Delaire Graff. „Südafrika“, erklärt Lambour, „ist ja nicht umsonst eine der führenden Weinreise- und Lifestyle-Destinationen weltweit. Statt Weinfreunde nur bestenfalls eine Stunde für eine Weinverkostung zu binden, schaffen wir es mit der Kunst, sie drei oder vier Stunden lang zu begeistern und bei uns zu halten.“

Besucher werden auf Tokara schon am Parkplatz vom „disclosing decay“, dem „offengelegten Verfall“ Angus Taylors empfangen, der vor dem Panorama der Tokara'schen Rebzeilen wie ein Vexierbild wirkt.

Gleich komplett in die Hand von externen Experten, in diesem Fall denen der Johannesburger Everard Read Gallery, der 1913 gegründeten, ältesten des Landes, hat man die Kunst auf Leeu Estates in Franschhoek gegeben. Angesichts der Anlage von Leeu Estates mit Weingut, Hotel, Spa und Restaurant von Luxus zu sprechen, wäre fast schon verniedlichend. Und so muss es auch nicht erstaunen, dass die in Garten und Weinberg ausgestellten Objekte in der Eigendarstellung ohne falsche Bescheidenheit als „monumental“ qualifiziert werden. Dass auch hier nur die renommiertesten Künstlernamen zu finden sind, versteht sich von selbst.

Kunst im Weingut zieht, das ist eine Erfahrung, die man auch auf einer der populärsten Weinfarmen Stellenboschs machen kann, Besucher und damit Weinkunden an. Der weitläufige Kellerei-, Hotel- und Gastronomiekomplex am Baden Powel Drive, auf halbem Weg zwischen Stellenbosch und den Stränden der False Bay gelegen, gehört zu den populärsten Erzeugerbetrieben Südafrikas. Das macht sich vor allem bei schönem Wetter bemerkbar, wenn die Wege und Rasenflächen der Anlage von hunderten Menschen bevölkert sind, die hier ihr mitgebrachtes Picknick, die Leistungen des Restaurants oder auch schlicht die Sonne genießen. Oder eben die Kunstwerke, die über den gesamten Komplex verstreut sind.

Die Skulpturen auf Tokara, dem Weingut von GT und Anne-Marie Ferreira, sind nur zum Teil ständig für Besucher zugängich. Das „Regenbogenmädchen“ von Marieke Prinsloo etwa sitzt im privaten Garten auf seiner Bank. Das „Fraktal“ Angus Taylors dagegen markiert den Eingang zum gutseigenen Delikatessenladen.

Richard „Dick“ Enthoven, der Eigner von Spier, sieht sich dabei – im Unterschied zu Graff und den Ferreiras – nicht so sehr als Sammler, wohl aber als Mäzen, der schon bald nach Gründung seines Weinguts im Jahr 1994, auch kurz nach der Befreiung Nelson Madelas, eine Treuhandgesellschaft zur Unterstützung von Künstlern aus dem südlichen Afrika ins Leben rief, mit deren Hilfe diesen ein regelmäßiges Einkommen generiert werden sollte. Dazu kam eine „Spier Arts Academy“, die inzwischen aber als Folge der Covid-Pandemie wieder schließen musste. Sehenswert ist hier vor allem der „Mosaic Kraal“ mit Werken von 20 zeitgenössischen Künstlern des Landes, wobei die meisten von dessen Exponaten nur begrenzte Zeit auf Spier ausgestellt werden.

In gewisser Weise zeitlich begrenzt, wenn auch aus ganz anderen Gründen, war auch das Kunstengagement im Weingut Glen Carlou an der Verbindungsstraße von Klapmuts nach Simondium, dessen Weinberge schon zur Herkunftsbezeichnung Paarl gehören. Hier hatte der Schweizer Weinbaupionier und Kunstsammler – so Wikipedia – Donald Hess, der zuvor schon Weingüter in Kalifornien, Argentinien und Australien gegründet oder aufgekauft hatte, einen Teil seiner berühmten Hess Collection mit Werken von Bacon, Motherwell, Stella, Connell oder Baselitz ausgestellt. Heute beherbergt die große Ausstellungshalle des Weinguts meist Werke junger Künstler der Kapregion.

Michelangelos „sterbender Sklave“ hat Marco Cianfranelli zu seinem überdimensionalen Stein- und Glasmosaik inspiriert, das dem Besucher auf Spier zunächst massiv den Weg zu versperren scheint, sich beim Näherkommen aber in seine Bestandteile auflöst und die Sicht freigibt.

Gleich gänzlich auf den persönlichen Bezug setzte man im Franschhoeker Traditionsweingut La Motte. Hier werden neben einigen Skulpturen von Vater und Sohn Theo und Toby Megaw vor allem Linolschnitte Jakobus Hendrik Pierneefs, eines der „alten Meister“ der südafrikanischen Landschaftsmalerei ausgestellt. Der Kontakt entstand, als die Eigner von La Motte vor vielen Jahren Schnitte des Künstlers für ihre Etiketten verwenden wollten und zu diesem Zweck die Tochter Pierneefs kontaktierten, die dann auch andere Kunstwerke ihres Vaters für das Museum des Gutes zur Verfügung stellte. Der persönliche Bezug, genauer gesagt die Freundschaft zwischen dem Künstler Anton Smit, mit dessen Skulptur wir diese Bildreportage eröffneten, und der in Kapstadt lebenden britischen Unternehmerin Penny Streeter, bildete auch die Grundlage für die Kunstsammlung auf Benguela Cove. Verleiht ihr eine gewisse Authentizität, obwohl sie in der südafrikanischen Kunstszene gelegentlich als „rein dekorativ“, „ohne Intention und Emotion“ kritisiert wird.

Benguela Cove, an der Straße von Kapstadt zur Walbucht von Hermanus gelegen, dort, wo der Bot River in einer breiten Lagune in den Atlantik mündet, wurde erst vor wenigen Jahren von der Familie Streeter erworben, die aber inzwischen auch mehrere Galerien und Skulpturenparks in anderen Teilen der Welt besitzt. Die dicht behängte Gemäldeschau in Benguela Cove wurde dabei erst 2022 eröffnet und wirkt noch mehr wie ein Archiv denn wie eine Kunstausstellung. Auch hier, wo das sehr europäisch wirkende Weinland um Stellenbosch langsam vom „echt“ südafrikanischen Hinterland abgelöst wird, gilt wohl, dass gut‘ Ding Weile haben will.

Die „sentinels”, Wächter, von Deobrah Bell (li.) wirken ein wenig wie ein Import von den fernen Osterinseln.

Dieser Artikel wurde zuerst in enos 1/2023 veröffentlicht.
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