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Das Erbe der Climats

Die Champagne hat sie, die Toskana auch, das Dourotal, Tokaji, Wachau und Mittelrhein – nicht aber die Mosel –, das Piemont und sogar die italienischen Cinqueterre, was dem Weinbau dort aber nicht wirklich geholfen hat. Und natürlich auch das Burgund. Was sie haben? Einen Eintrag in die Listen des Weltkultur- oder Weltnaturerbes der UNESCO. Fast scheint es, als sei es für Weinbauregionen, die etwas auf sich halten, ein Muss, das prestigeträchtige Label „Welterbe“ führen zu dürfen. Das Burgund darf dies seit etwa drei Jahren, und zwar für sein System historischer Weinbergsparzellen, „climats“ genannt. Um herauszufinden, was das für den Weinbau der Region bedeutet, sprach enos mit einer Reihe Protagonisten zwischen Dijon und Santenay. Überraschender Aspekt der Gespräche: Sie brachten auch Licht in das manchmal recht obskure Wirrwarr der Terroirdiskussion.

(Foto: BIVB / Aurelien Ibanez)

Bescheiden ist das Ambiente, aber es passt, denn hier geht es nicht um Pomp und Gloria. Guillaume d’Angervilles Büro in der Domaine Marquis d‘Angerville von Volnay zeigt wenig vom repräsentativen Glanz großer Weinschlösser. Ebenerdig gelegen, mit direktem Blick auf den Hof des Gutes und guter Kontrolle dessen, was dort passiert. Früher hätte man an dieser Stelle die Wohnung einer Concierge vermutet, die mit strengem Blick dafür sorgte, dass kein Unbefugter das ihrem Schutz anbefohlene Gemäuer betritt.

D’Angerville ist – seit dem Rückzug des Gründers Aubert de Villaine, des legendären Eigners der Domaine de la Romanée-Conti – Präsident der Vereinigung, die die Aufnahme des Burgunds in die Welterbeliste erst erdachte, dann durchsetzte und heute in konkrete Politik umsetzt. Knapp drei Jahre, seit 2015, ist die Weinbauregion zwischen Dijon und Mâcon jetzt Bestandteil dieses Welterbes, genauer gesagt, sind die 1.247 Weinbergsparzellen – im Burgund „climats“ genannt – der Côte d’Or einer der vielen, über die meisten Länder der Erde verstreuten Positionen dieser Liste.

Was diese Welterbeliste so attraktiv für Weinbauregionen macht? Hilft sie vielleicht bei der Vermarktung der Weine? „Nein, an einen besseren Absatz unserer Weine“, so d’Angerville ein wenig erstaunt ob der Frage, „haben wir bei der UNESCO-Bewerbung eigentlich nicht gedacht. Und wir hätten ja auch gar keinen Wein, um eine weiter steigende Nachfrage zu befriedigen. Auch für unsere Bekanntheit oder Reputation als Weinbauregion mussten wir nicht mehr wirklich viel tun. Ziel der Initiative war es vielmehr, nach außen zu dokumentieren, dass das Burgund mehr als Wein ist, und nach innen ein Bewusstsein von unsem einzigartigen Erbe zu schaffen.“ Ein wenig pathetisch ergänzt er: „Jetzt gehört das Burgund nicht mehr nur uns, sondern der gesamten Menschheit.“ D‘Angerville begreift die Listung als eine Art pädagogischer Maßnahme: „Wir legen uns leider nicht immer Rechenschaft über unser uraltes historisches Erbe ab, vergessen zu häufig die Einzigartigkeit unserer Region. Ich selbst habe die Bedeutung dieses Erbes lange unterschätzt, bevor ich dem Welterbeverein beitrat.“

Auch oberhalb der prestigeträchtigen „climats“ der Côtede Nuits finden sich in den Weinbergen zahlreiche Relikte der 200-jährigen Weinbaugeschichte des Burgund. (Foto: BIVB / www.armellephotographe.com)

Kommerzielle Motive irgendwelcher Art hätte die UNESCO gar nicht akzeptiert, und sie achtet auch jetzt darauf, dass wir den neuen ‚Titel‘ nicht in diesem Sinne ausschlachten“, gibt sich d’Angerville kategorisch. „Es hätte“, so präzisiert Christophe Déola, Gutsleiter des Weinhauses Louis Latour in Aloxe-Corton, wenig später, „für uns ohnehin nicht viel gebracht, auf solche pekuniären Effekte zu setzen, da wir als Maison Latour gar nicht an Private verkaufen. Allenfalls könne, so räumt er ein, die Eintragung in eine Welterbeliste ein wenig zum „Storytelling“ der Region beitragen. Was natürlich wiederum Auswirkungen auf den Weinabsatz haben könne.

Aber was ist dann wirklich die Bedeutung der Aufnahme der burgundischen Rebflächen ins Welterbe? Nur ein wenig Pädagogik nach innen und nach außen? Und dafür der nicht unerhebliche Aufwand? Die Frage scheinen sich tatsächlich viele Winzer zu stellen. Bei Hervé Muzard in Santenay, an der südlichen Grenze der von der UNESCO gelisteten Côte d’Or, scheinen die Fragezeichen weit zahlreicher als die Antworten. Dabei ist Muzard noch einer derjenigen, die mit ihren eigenen Initiativen schon vor der Anerkennung durch die UNESCO durchaus in deren Sinne tätig war. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, überall in seiner Gemeinde in und am Rande der Weinberge wieder Bäume und Sträucher auszupflanzen. So wie es früher war, und wie es der Umwelt gut täte.

Dennoch: Was die UNESCO-Listung an praktischen Konsequenzen hat, ist noch nicht wirklich abzusehen. Das liegt vor allem daran, dass die UN-Organisation sich bei ihren Welterbestätten immer weniger mit konkreten Vorgaben und Anweisungen einmischt. Im Burgund wird diese Rolle dem französischen Staat zufallen, der bereits an gesetzlichen Regularien arbeitet. Was das dann für die Winzer bedeuten könnte? Mehr bürokratischen Aufwand? Höhere Kosten? Christophe Déola weiß jedenfalls zu berichten, dass die Reaktion der Weinbauern auf die UNESCO-Listung nicht einhellig positiv war. Stolz, Gleichgültigkeit und wütende Opposition – das war die Bandbreite der Gefühle.

Vielleicht hat die Aufnahme der „climats“ ins Welterbe ja auch eine eher konzeptionelle, man könnte fast sagen philosophische Bedeutung. Um das zu verstehen, muss man die Definition der Welterbestätten durch die UNESCO genau lesen: „Die UNESCO“, so steht es bei Wikipedia, „verleiht den Titel Welterbe an Stätten, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit, Authentizität und Integrität weltbedeutend sind …“

Zwei der berühmtesten „climats“ des Burgund sind Romanée-Conti und Clos-Vougeot. (Fotos: E. Supp)

Dabei unterscheidet die Pariser UNO-Agentur recht pingelig zwischen Kultur- und Naturerbe. Zum Kulturerbe gehören nach ihren Definitionen „Meisterwerke der menschlichen Schöpferkraft“, zum Naturerbe Gebiete mit „überragenden Naturerscheinungen oder … von außergewöhnlicher Naturschönheit.“

Nun wissen wir, dass die „climats“, die im Zentrum der Aufnahme des Burgund ins Welterbe stehen, Weinbergsparzellen sind. Parzellen, deren berühmteste auf Namen wie Le Montrachet, Clos Vougeot, Le Chambertin oder Romanée-Conti hören, präzise abgegrenzte, nicht selten recht kleine Weinbergsparzellen, deren Weine unter eigenen Herkunftsbezeichnungen vermarktet werden dürfen und von denen wir annehmen, dass jede ihren Weinen ein ganz eigenes Geschmacksprofil mitgibt. Paradoxerweise aber wurden diese Parzellen nicht in die Liste des Weltnatur-, sondern in die des Weltkulturerbes aufgenommen. Nicht die Natur, sondern die kulturelle Leistung der Menschen steht für die UNESCO hier im Fokus.

Für Guillaume d’Angerville ist das nicht so paradox, wie es scheinen könnte. Für ihn sind die von der UNESCO gelisteten Stätten „das Resultat einer Interaktion zwischen Natur und Mensch“, nicht etwa nur Produkt einer natürlichen Konstellation. Nicht allein Boden oder Klima, sondern die über Jahrhunderte von Menschen geschaffene Weinbaurealität waren in seinen Augen für das verantwortlich, was wir heute mit dem Begriff „terroir“ bezeichnen.

Es ist eine Sichtweise, die auch von Christophe Déola und dem Winzer Nicolas Rossignol-Trapet, einem der Top-Erzeuger in Gevrey-Chambertin an der Côte de Nuits, geteilt wird. Déola warnt davor, die Begriffe „climat“ und „terroir“ gleichzusetzen. Während es sich beim ersten tatsächlich nur um ein – wenn auch vom Menschen abgegrenztes – Stück Boden handele, gehe es beim „terroir“ um weit mehr: Das „climat“ sei eine Parzelle, ein Stück Boden, „terroir“ dagegen eine „construction humaine“, ein Konstrukt des Menschen, das allerdings eng mit dem „climat“, also einem bestimmten geographischen Ort verbunden ist. „Es gibt kein ‚terroir‘ ohne den Menschen“, sekundiert ihm Rossignol-Trapet und erklärt, dass für ihn „terroir“ das Resultat einer Interaktion von fünf Faktoren darstellt: dem Boden, der Ausrichtung und der Hangneigung, aber auch der vom Menschen gestalteten geschichtlichen Entwicklung der Weinberge und schließlich von dessen tagtäglicher Arbeit.

(Foto: BIVB / Jean-Louis Bernuy)

Nun könnte man sicher diskutieren, ob zu den „natürlichen“ Komponenten des „terroir“ noch andere Elemente gehören, wie etwa die Mikrofauna (Hefen, Bakterien) oder das Mikroklima. Wichtiger aber ist, dass für die Winzer des Burgund – und die UNESCO hat diese Sichtweise noch einmal bestärkt – zum „terroir“ natürliche wie auch kulturelle, geschichtliche Faktoren zählen.

Rossignol-Trapet und Déola können auch gleich eine ganze Reihe solcher „kulturellen“ Elemente aufzählen, die in der weltweiten Terroirdiskussion meist nicht zum Tragen kommen. Kaum beachtet wird da etwa, dass zu Zeiten der Entstehung des Terroirkonzepts neue Weinberge immer nur mit Setzlingen der eigenen Gemeinde bestockt werden durften – angesichts der bekannten genetischen Instabilität der Pinot-Sorten eine Vorgabe mit weitgehenden Folgen für die geschmacklichen Eigenheiten des Weins. Auch bei der Weinbergs- und Kellerarbeit waren die Winzer einer im Vergleich zu heute unendlich viel stärkeren sozialen Kontrolle unterworfen, angefangen bei der Festlegung des Erntezeitpunkts bis zu dem der Vermarktung der Weine. „Niemand“, so Rossignol-Trapet, „setzte sich über den Rahmen hinweg, den die Dorfgemeinde festlegte.“

Auch die Erziehungsformen der Rebe variierten in den unterschiedlichen Teilen der Côte d’Or beträchtlich – mit offensichtlichen Auswirkungen auf den Terroircharakter der Weine. Und, wie Christophe Déola unterstreicht, nicht zuletzt fußt die Definition dessen, was „terroir“ bedeutet, auf historischen Verhältnissen, unter denen es im gesamten Burgund gerade mal hundert – und nicht ein wie heute paar tausend – Vermarkter gab. Die konnten natürlich viel stärker auf eine erkennbare Typisierung des Weincharakters hinarbeiten, als dies in Zeiten der immer stärkeren Individualisierung – man umschreibt das oft als „Handschrift des Weinmachers“ – der Fall ist.

Es ist aus diesem Blickwinkel betrachtet eine Rückbesinnung auf das kollektive, soziale Element des „terroirs“, vielleicht sogar des Weinmachens nach Maßgabe von Herkunftsbezeichnungen schlechthin, die mit der UNESCO-Listung der burgundischen „climats“ verbunden ist. Und die geht weit über die Frage hinaus, ob die Region in Zukunft mehr Wein absetzt, mehr Touristen empfängt oder schlicht größeres Prestige genießt. In der Frage „Natur oder Kultur“ schlägt sich die UN-Agentur – und mit ihr das Burgund, das seinen Antrag auf die Listung als Welterbe ja in diesem Sinne gestellt hat – auf die Seite der Kultur. Weinbau ist Kultur, geschichtlich und sozial geprägte Kultur. In seinem Zentrum steht der Mensch, nicht eine wie auch immer idealisierte Natur. Und genau für diesen Aspekt ist in den letzten Jahren, nach einer langen Zeit der Technisierung, der Individualisierung und der Ent-Terroirisierung wieder Bewusstsein entstanden. „Die UNESCO“, so Rossignol-Trapet, „hat uns die kulturelle und historische Dimension des Terroirweinbaus zurückgegeben, sie hilft uns, ein Bewusstsein von der Besonderheit der Weine der einzelnen „climats“, vom „terroir“ also, zu bewahren. Ohne das würden unsere Weine über kurz oder lang gesichtslos, anonym, ‚n’importe quoi‘“.

Vielleicht ist es ja genau dieser Aspekt, der d’Angervilles pathetische Aussage, das Burgund gehöre jetzt der Welt, Sinn verleiht. Es ist die Anregung zu einem Storytelling, das die UNESCO dem Burgund schenkt, damit dies auch in Zukunft noch eine ganz besondere Weinbauregion ist.

Auf Schritt und Tritt findet der Weinfreund in der Gemeinde Vosne-Romanée prestigeträchtige Grand-Cru-Lagen. (Foto: E. Supp)

Dieser Artikel wurde zuerst in enos 1/2018 veröffentlicht.
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