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Nicht nur Sonnenschein und blaues Meer

„Storytelling“ ist einer der umstrittensten Begriffe des aktuellen Journalismus, oft (fälschlich) gleichgesetzt mit der Märchenerzählerei eines Claas Relotius (erfundene „Spiegel“-Reportagen), mit den Fälschungen eines Felix Heidenreich (Hitler-Tagebücher im „Stern“), denen von Michael Born („Stern-TV“ etc.) und vieler anderer. Dabei meint Storytelling, ein auch im Marketing und in der Werbung verwendeter Begriff, im Grunde erst einmal nur eine Erzähltechnik, die darauf abzielt, den Leser (Zuschauer) abzuholen und ihm vor allem den Einstieg in Artikel, Studienpapier, Bücher zu erleichtern.

Vor drei, vier Jahrzehnten war Storytelling im Weinbau noch eine recht einfache Angelegenheit. Die Story hieß Qualität, zugespitzt überhaupt erst einmal Konsumierbarbeit von Weinen in einer Zeit, in der ein Großteil des Angebots noch voll fragwürdiger organoleptischer „Eigenschaften“ war. Wer schon damals beruflich Weine verkosten musste, erinnert sich mit Grausen.

In jener Zeit war es eine Superstory, wenn etwa ein junger Winzer, der hohe Qualität produzieren wollte und dazu im Sommer die Reben „ausdünnte“, d. h. Trauben abschnitt und wegwarf, vom Vater wegen dieses „Gottesfrevels“ enterbt wurde. So geschehen im bekannten Piemonteser Weingut Altare und andernorts.

Sonne, Strand und Meer - das touristische Angebot der Malediven. (Fotos: E. Supp)

Seither ist der Weinkommunikation das Storytelling leider weitestgehend wieder „abhanden“ gekommen, was wir bei enos häufig schmerzhaft zu spüren bekamen. Für unsere Fotogeschichte über die (weinbauenden) Villen Venetiens brauchten wir zum Beispiel fast ein Dutzend Anläufe (mit ebenso vielen Organisationen) und mehr als ein halbes Jahrzehnt, bevor wir Ansprechpartner fanden, die uns auch die Erlaubnis verschaffen konnten, in den Villen zu fotografieren.

Da machte die Einladung zu einer Presseveranstaltung in Hamburg neugierig, in der es um Wein und die Malediven ging. Wie jetzt? Die Malediven? Wein? Und das, wo doch die Inseln als Folge des Klimawandels demnächst eh untergehen, wie „man“ weiß. Exakt, und nein, es ging nicht um Reben auf den Atollen oder das Reifen der Flaschen unter Wasser, wie es der eine oder andere Trendwinzer immer mal wieder probiert. Die Geschichte war die einer Hotelkette, die in ihrem Marketing einmal nicht nur auf Segeln, Tauchen, Tafeln abhob – je luxuriöser desto besser –, sondern die den Wein zum Dreh- und Angelpunkt ihres Marketings macht bzw. machen will. Nicolas Laguette, seines Zeichens „Director Wine“ der indisch-maledivischen Hotelkette Atmosphere, zelebrierte deshalb auf der Veranstaltung seine ganz eigene Art des Storytellings, in der von Wein und Winzern, vom Meeresspiegel, vom Islam, von Sand, von Authentizität und von Bäumen die Rede war.

Dass die Kombi aus Tropen und Wein überrascht, gilt nicht nur für die Malediven. In diesen Breitengraden geht es in der Regel um Sonne, Stand und Meer, vielleicht noch garniert mit einer anspruchsvollen Küche in den Hotelrestaurants. Aber Wein? Naja, gehört irgendwie auch dazu. Das jedenfalls war der Eindruck, wenn enos in der der Vergangenheit versuchte, mehr über das Thema in Erfahrung zu bringen.

Genauso überraschend ist Laguettes Haltung zur Frage, ob das Land nicht, wie von vielen Klimaforschern prognostiziert, dem Untergang (im Meer) geweiht sei. Was ja im Widerspruch zur Tatsache steht, dass weiterhin in die Tourismusindustrie der Malediven investiert wird. Investieren, in ein Land, das demnächst vom Meer überrollt wird? Laguette erläutert das Paradoxon. Seit einiger Zeit scheint man zu beobachten, dass der steigende Meeresspiegel dafür sorgt, dass immer größere Sandmengen an den Atollen angespült werden, wo sich dann, erneutes Paradoxon, auch für die Wissenschaft, ungewöhnlich schnell neue Vegetation „ansiedelt“. Was wiederum erklärt, warum die Regierung des Insellands große Anstrengungen zur Wieder“bewaldung“ der Atolle unternimmt.

Drittes Paradoxon: die mehrheitlich islamische Bevölkerung und der Wein. Ein Widerspruch, der in der Vergangenheit schon Gelegenheit für staatliche Interventionen „contra-Alkohol“ führte. Erfolglos! Laguette und seine Kollegin Sarah Walker-Kerr berichten aus eigener Erfahrung, das dieser Widerspruch dabei ist, sich aufzulösen. Nicht nur im Tourismus, auch im Alltagsleben der einheimischen Bevölkerung wird das Alkholverbot häufig missachtet. „Die Gesellschaft ist offen für den Akohol“, resümiert Walker-Kerr den Stand der Dinge.

Tatsache ist, dass in den Malediven-Hotels der Athmosphere-Gruppe 25.000 Flaschen Wein monatlich ausgeschenkt werden. Ein Großteil davon wird über die normalen Importquellen bezogen, und es ist nicht ungewöhnlich, in den Insel-Hotels und -Resorts Weine von Antinori und Ernst Loosen, Champagner von Moët & Chandon oder die Grands Crus des Bordelais und der Bourgogne zu finden. Als ungewöhnlich, und hier kommt wieder der Teil des Storytellings, der die Spezialität von Laguette ist, darf man dagegen das Partnerprogramm der Atmosphere-Hotels bezeichnen. Drei sind die Partner aktuell erst, aber der Kontakt ist intensiv.

In Frage kommen, so Laguette, ausschließlich Erzeuger, die über „natürlich spektakuläre Weinberge“ verfügen und in Familienbesitz sind: Guy Charbaut aus der Champagne, Bodegas Viñátigo von Teneriffa und Glenelly Estate der Französin May-Eliane de Lencquesaing (ex Pichon-Lalande) aus Stellenbosch lauten die ersten Namen. Authentizität wolle man durch den engen Kontalt mit diesen Erzeugern erreichen, weshalb die Mitarbeiter der Resorts auch auf Weinreisen rund um Welt geschickt werden. Islamisches Alkoholverbot hin, islamisches Alkoholverbot her! Dann können die den Gästen sozusagen in der ersten Person von den Weinen und ihren Winzern berichten – Storytelling, wie es sich gehört, könnte man sagen. Erfunden von Tourismus-Anbietern, die eigentlich nur dafür bekannt sind, Sonne, Strand, Palmen und Tauchflaschen im Angebot zu haben.

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