Der Moselwinzer Reinhard Löwenstein gilt vielen in der deutschen Weinszene als „enfant terrible“ – von den einen für seine ausdrucksstarken Gewächse und seine eloquent vorgebrachten weinbaupolitischen Positionen gelobt, von den anderen kritisiert, weil die Weine eben in der Regel nicht dem gängigen, „stromlinienförmigen“ Geschmacksbild entsprechen und seine Positionen gerne einmal provokant ausfallen. Mit enos sprach der 62-jährige kurz vor Beginn der diesjährigen Düsseldorfer Weinmesse „ProWein“ und kurze Zeit später noch einmal in seinem Weingut in Winningen. Klar, dass die Diskuss-
ion schon rasch sehr lebhaft wurde und schließlich weit mehr Themen als nur das „Terroir“ berührte.
enos: Der Begriff „Terroir“ gehörte in den letzten Jahren zu den meistgebrauchten, aber auch umstrittensten der Weinszene. Während die einen darunter verstehen, dass Weine „nach dem Weinbergsboden“ schmecken, vertreten andere sehr viel weitergehende, kulturelle Konzepte, und wieder andere verweisen die gesamte Terroirdiskussion ins Reich der Mythen und Fabeln. Im Burgund, wo der Begriff entstand, zitieren Winzer gerne die geschichtliche, kulturelle Dimension des Begriffs. Wozu auch gehört, dass etwa noch bis vor 20, 30 Jahren der Erntebeginn gemeindeweise festgesetzt wurde, dass die Arbeitsschritte in Weinberg und Keller in allen Betrieben mehr oder weniger identisch waren und die gesamte Arbeit starker sozialer Kontrolle unterlag. Erst durch dieses Gesamtpaket, so glauben manche, habe überhaupt erst so etwas wie ein einheitlicher, mit einer geographischen Lage verknüpfter Geschmackscharakter der Weine entstehen können. In der heutigen Zeit sei dieses Konzept in Gefahr, werde der Geschmack der Weine viel häufiger von individuellen Vorlieben des Weinmachers geprägt. Wie sehen Sie das hier an der Mosel?
Löwenstein: Ich würde ungern nur über die Mosel reden, weil die so heterogen ist wie die gesamte Weinwelt. Die Frage stellt sich ja an der Mosel genau wie im Burgund. Und ich hätte eine ähnliche Antwort gegeben. Richtig ist, dass die Generation unserer Großeltern weder das Wissen noch die Technologie hatte, um den Weinen einen solchen individuellen „fingerprint“ zu verleihen. Früher war der Winzer der Natur viel stärker ausgeliefert, wenn man diese Metapher benutzen wollte. Wenn ich über Terroir rede, gehe ich aber gerne noch einen Schritt zurück. Denn das Konzept, so wie es heute meist gebraucht wird, hat eine stark romantische Dimension: Zurück zur guten Mutter Natur! Das ist ähnlich, wie bei der Naturweinbewegung. Ein Reflex auf die Industriegesellschaft.
Historisch gesehen, ist Wein ja das geistige Getränk par excellence. Das Getränk der Sesshaftwerdung des Menschen, genau wie die Sprachentwicklung. Es gibt Anthropo-Biologen, die behaupten, der Mensch sei überhaupt nur sesshaft geworden, um einen kontrollierten Zugang zur Weinproduktion zu haben. So weit würde ich zwar nicht gehen, richtig aber ist: Wein war nie ein Naturprodukt. Sondern ein Kind der Zivilisation, der Kultur. Agri-Kultur im wahrsten Sinne des Wortes. Deshalb ist auch die Idee von Weinen, die nach dem Weinbergsboden schmecken, eigentlich obsolet, Schnee von gestern.
enos: Aber was ist Terroir dann?
Löwenstein: Ich will mal so anfangen: Liebfrauenmilch „schmeckt nach“ Rheinhessen und Jacobs Creek nach Australien. Trotzdem würden wir nicht sagen, dass das Terroirweine sind. Also müssen wir anders an die Frage herangehen. Was wir heute brauchen, ist die Antithesis zum Industriewein. Das ist auch ein gesellschaftliches Bedürfnis, das sich in der Naturweinromantik wiederfindet. Also: Wie definieren wir einen Wein, der nicht nur ein Resultat modernen Fooddesigns ist? Die Antwort auf diese Frage lautete eine Zeit lang „Bio“. Da war Chemie böse und Natur gut. Aber im Grunde war schon das ein Kindergartenreflex. Und historisch gesehen finden wir in der heutigen Naturweinbewegung Menschen, die dasselbe Thema wieder aufgegriffen haben, das Ende der 1970er Jahre die Ökobewegung umtrieb. Ich denke, wir müssen heute einen Schritt weiter gehen. Gefragt sind nicht mehr die Moraltheologen mit ihrer Erbsünde, sondern Leute, die nicht mehr nach richtig oder falsch fragen, wohl aber nach der Sinnhaftigkeit. Und meine These ist, dass es sinnvoll ist, den Begriff des Terroirs als Gegenpol zu dem zu nutzen, was wir modernen Industriewein nennen.
enos: Das ist aber jetzt noch nicht sehr präzise.
Löwenstein: Ich finde den Begriff gerade deshalb toll, weil er nebulös ist. Es ist ein Begriff, der sich jeglicher logisch-strukturierter Ableitung entzieht und deshalb deutlich macht, dass wir uns auf einer anderen Wirklichkeitsebene befinden. Dabei ist für mich Terroir ein Begriff aus der Welt der Kultur, der industrielle Wein ein Produkt der Lebensmitteltechnologie.
enos: Aber das ist immer noch eine sehr abstrakte Gegenüberstellung. Terroir hatte ja immer den Anspruch einer geographisch lokalisierbaren, geschmacklichen Wiedererkennbarkeit von Weinen.
Löwenstein: Das ist richtig. Aber das ist für mich nur eine der Spielarten von Terroir. Und zwar eine europäische. Aber ich komme mir immer blöde vor, wenn ich damit etwa den Kaliforniern abspreche, Terroirweine zu machen. Und habe mir immer überlegt, was ich als kalifornischer Winzer machen würde, wenn ich einen guten, einen Terroirwein machen wollte. Die Denkweise Europas kopieren?
Meine Projektion in die kalifornische Kultur ist, dass die viel bekloppter sind als wir, viel mehr funky, die wollen experimentieren. Das, was ich die kalifornischen Kultur im Weinbau nenne, finde ich zum Beispiel bei Randall Graham. Den würde ich auch als Terroirwinzer bezeichnen, weil er etwas eigenständig Kulturelles bastelt. Seinen „Cigare volant“ beispielweise, abgesehen davon, dass der richtig gut schmeckt, fand ich immer ein gutes Beispiel für hochwertigen kalifornischen Terroirwein. Der schaut, wo gibt es gutes Klima für Rhône-Rebsorten. Pflanzt die da aus. Und macht dann eine Verfremdung, indem er ein Etikett im Rhône-Stil draufmacht, dazu ein UFO und einen Beschluss des Gemeinderats von Châteauneuf-du-Pape aus dem Jahre 1954, nach dem UFO in den Weinbergen der Gemeinde nicht landen dürfen. Das ist für mich ein Ausdruck kalifornischer Kultur.
enos: Also ein weitgehend kulturelles Konzept. Und noch mehr ein Marketingkonzept, als das europäische. Der europäische Anspruch, dass ein Wein einen typischen Geschmackscharakter besitzen soll, der in einer bestimmen Lage zu verorten ist, beinhaltet ja auch ein Stück Marketing. Der Wein soll auf die Weise zur USP, zur „unique selling proposition“ werden. Wiedererkennbar und einzigartig sein. Bei Kalifornieern, Australiern, Südafrikanern können dann also noch andere kulturelle Elemente zum Tragen kommen, die mit der Verknüpfung mit einem bestimmten Weinberg nichts zu tun haben.
Löwenstein: Ich sag es noch mal. Für mich ist unser Konzept eines geographisch zu verortenden Geschmacks nur eine Spielart von Terroir. Wenn wir sagen, Terroir sei nur ein solcher „Weinbergsgeschmack“, dann sind wir uns schnell einig, dass von den 50 000 Hektar Riesling, die es auf der Welt gibt, vielleicht 3 000 Hektar überhaupt eine solche Wiedererkennbarkeit des Weins hervorbringen können. Terroir ist Weinberg, ist aber auch Kopf. Jeder Wein besteht aus 100 Prozent Weinberg und 100 Prozent Mensch. Zu monokausale, lineare Verknüpfungen finde ich völlig am Thema vorbei. Ich will einen Begriff für einen kulturbeseelten Wein. Solche Weine naturbeseelt zu nennen, halte ich für Tralala, und es Heimatwein zu nennen, klingt mir zu sehr nach „Schwarzbraun ist die Haselnuss“.
Wenn wir jetzt aber sagen, wir wollen nicht mehr monokausal, sondern systemisch an die Sache herangehen, dann macht das natürlich richtig viel Arbeit. Wir müssen uns dann bei jedem Detail überlegen, wo die Grenze ist zwischen einer dieser „reinen Lehren“ – Bio, Biodynamik oder eine andere der Millionen Projektionen – und der reinen Geschmacksoptimierung der Weinindustrie. Ja, die Reinzuchthefe ist ein Beispiel, aber auch da wird man zu Recht sagen können, übertreib es mal nicht. Wenn wir aber dann über Reinzuchthefe plus Enzyme plus, plus, plus, plus reden …
enos: Die Grenze zwischen Kulturwein und Industriewein ist also keine fixe, sondern fließend?
Löwenstein: Ich bin absolut gegen Schwarz-Weiß-Denken, weil das eine Unkultur ist. Eine, aus der wir mit unserer aufklärerischen Logik natürlich alle kommen. Gott sei Dank fangen wir jetzt an, systemisch zu denken und die Millionen Interdependenzen zu berücksichtigen. Es gibt Millionen valider Standpunkt, je nach Betriebsstruktur, und deshalb auch Millionen unterschiedlicher Lösungen. Ich weiß, was ich mache, aber ich würde dem Kollegen, der bio-dynamisch arbeitet, nicht absprechen, dass auch er hochwertigen Wein macht. Und dass er Terroirwein macht. Der eine beschallt den Wein mit Musik, der andere benutzt Bachblüten. Wir müssen weg von diesem gut und schlecht, hin zu etwas, was bei uns leider sprachlich schon nicht gut klingt. Zum Kompromiss, der bei uns leider viel zu oft nur als fauler wahrgenommen wird.
enos: Im Französischen hat „terroir“ immer eine Konnotation von Heimat. „Un homme de son terroir“ ist keiner, der von seinem Kalkboden geprägt ist, sondern ein Mann seiner Scholle im weitesten Sinne, seines Kulturraums.
Löwenstein: Klar, Terroir kann auch die Idee „Heimat“, kann die Kuschelecke sein. Aber natürlich wird der Begriff im Französischen genau so „gestrickt“, wie im Deutschen. Mit genau denselben Projektionen in die Natur wie hier. Im Grunde ist Terroir wie auch Harmonie oder Schönheit ein Kulturbegriff.
enos: Wenn aber die USP, die wiedererkennbare Einzigartigkeit eines Weins gewährleistet sein soll, dann müsste es ja eigentlich vom Uhlen eine andere solche geschmackliche Einzigartigkeit geben als vom Röttgen. Wie schmeckt denn der Wein von einer Lage im Unterschied zur nächsten?
Löwenstein: Wir haben sieben Böden und acht Weine. Die sieben Böden sind die, die wir in zehn Jahren ausgewählt haben, und hier erlebe ich tatsächlich über die Jahre hinweg Wiederholbarkeit – natürlich mit gewissen Jahrgangsschwankungen – im geschmacklichen Ausdruck. Klar, es muss einen „Geschmack Röttgen“ geben. Wenn nicht, wäre der Gebrauch eines Lagennamens ja Verbraucherbetrug. Denn der Name des Weinbergs suggeriert dem Verbraucher, es handele sich um einen Wein mit wirklich singulärem Geschmack.
enos: Und wie würde man den Geschmack eines Weines vom Röttgen definieren?
Löwenstein: Röttgen ist für mich ein barockes Füllhorn der Natur, das über dem Tisch ausgeschüttet wird. Überreife Früchte, der Spaziergang über einen Obstmarkt in Italien um halb drei, wenn im Sommer die Melonen auf der Erde schon ein wenig matschig werden und anfangen zu stinken. Vielleicht nicht so ganz in der Spur für Geisenheim. Auf der anderen Seite hat der Röttgen immer die Dimension Café brulé, Nougat, Schokolade.
enos: Das sind die aromatischen Komponenten. Und geschmacklich, strukturell?
Löwenstein: Strukturell? Wir können nun mal über Aromen leichter reden als über Haptik. Die ist schwer zu kommunizieren, da müssten wir zwei vorher einige Sprachübungen machen. Natürlich hinterlässt der Röttgen durch seine Rauchigkeit im Abgang ein anderes Gefühl als ein Uhlen Blaufüßer Lay, der von kühlen Schiefertafeln kommt. Der ist eher so wie ein Bergkristall. Nach Wasser schmecke der, hat einmal eine Kundin gemeint. Und genau so schmeckt er: jungfräulich, präzise. Reden kann ich darüber, aber …
enos: es ausreichend abgrenzen? Da gerät man vielleicht schnell in sehr generische Beschreibungen.
Löwenstein: Ich könnte sagen, wie er für mich schmeckt. Aber die Kunst der Kommunikation besteht ja darin, den Gegenüber abzuholen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Auch bei den Aromen versuche ich meine Eindrücke immer in Bildern zu fassen, in Metaphern wie Obstmarkt etc. Nur das Aromarad durchzudeklinieren, finde ich ein wenig überkreuz. Letztlich versuchen wir bei der Weinbeschreibung ja, Nicht-Verbales zu verbalisieren. Ich habe neulich ein Buch gelesen, in dem behauptet wird, fünf Prozent unseres Genoms seien für das Schmecken und Riechen da, und dass die Zellstruktur, an der die Aromen andocken, im Grunde entwicklungsgeschichtlich seit den Reptilien gleich geblieben ist.
Das ist so, als wollte man Geschlechtsverkehr beschreiben, oder die Gefühle, wenn man eine Oper hört. Entweder man gibt sich der Oper hin … und dann kann man nicht anfangen, über die Oper nachzudenken. Ich glaube, all die Weinanalytiker haben im Grunde nur Angst vor dem Wein. Weil sie dauern auf der Kontrollebene Zuflucht suchen, sich nicht getrauen, sich dem Wein einfach hinzugeben.
Wir gehen da an Krücken, müssen etwas Nicht-Verbales, das 400 Millionen Jahre alt ist, mit unserem Vokabular von heute darstellen. Wobei noch spannender ist, dass auch der Geschmack unseres Uhlen von einer Lage aus 400 Millionen Jahre alten Meeressedimenten stammt.
enos: Nun kommt aber der Nachbar und behauptet, bei mir schmeckt der Röttgen nach Pfirsich und Minze.
Löwenstein: Wein ist ein guter organoleptischer Rorschachtest. Eine Emanzipationsdroge. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen spiegeln ja die Realität. Auch wenn man zehn Menschen in den Don Giovanni setzt und sie hinterher fragt, was sie gefühlt haben, bekommt man zehn verschiedene Antworten.
enos: Ok, aber wenn ein und dieselbe Person zehn Weine verschiedener Winzer vom Röttgen trinken ….
Löwenstein: Na ja, dann kommt es eben darauf an, wie die im Keller arbeiten. Wobei ich es schon erstaunlich finde – und das stelle ich immer wieder fest –, dass selbst Weine, die in der Jugend grauslich waren, nach zehn, zwanzig Jahren genau so schmecken, wie ich es von einem Röttgen erwartet hätte.
enos: Aber im Idealfall würde der Nachbar vom Röttgen im Keller so arbeiten, dass sein Wein im ersten Jahr so schmeckt wie der von Heymann-Löwenstein.
Löwenstein: Ich weiß nicht, ob das mein Idealfall wäre. Mit der Marketingbrille betrachtet wäre es das wohl. Dann gäbe es einen Idealtyp Röttgen. Als Weinfreak fände ich’s eher sexy, zehn Nachbarn zu haben, die alle gut sind und alle etwas unterschiedliche Interpretationen dieses Terroircharakters liefern.
enos: Dann wäre die individuelle Handschrift doch spannender als die Gemeinsamkeit des einheitlichen Terroirs?
Löwenstein: Nun, wenn einer eine klassische Oper dirigiert, dann ist doch auch seine Handschrift wichtig. Sonst muss ich nicht in die Oper gehen. Das wäre sonst langweilig. Dieses Gentlemen‘s Agreement des gemeinsamen Terroircharakters ist eine heiße Gratwanderung.
enos: Wie sähe denn die individuelle Handschrift aus, die zu einem Geschmacksbild „Röttgen“ von Heymann-Löwenstein führt?
Löwenstein: Das fängt im Weinberg an. Die Pflanzdichte ist wichtig. Wir streben 10 000 Pflanzen pro Hektar an, haben aber auch schon Anlagen mit 14 000 Stöcken. Und dann eine Flasche oder einen halben Liter pro Stock als Ertrag. Das so zu betrachten, ist wesentlich sinnvoller als die Angabe eines Ertrags pro Hektar. Dann kommt die Versorgung der Böden ausschließlich mit organischem Material hinzu. Nach Jahren des Verzichts auf Mineraldünger haben die Pflanzen ihre Ernährung dermaßen umgestellt, dass sich um die Wurzelhaare wieder eine Schicht Mikroben angesiedelt hat, die Aminosäuren in den Rebstock überführen.
Bewässert wird nicht. Das ist ein ganz brutaler Eingriff, den ich bei hochwertigen Terroirweinen absolut ablehne. Wenn es zu trocken ist, muss ich eben den Humusaufbau im Boden erhöhen, um keinen Trockenstress zu bekommen. Auf Botrytizide verzichten wir, denn die machen selektiv die Weinbergsflora kaputt. Im Keller wird mit den Mikroben vergoren, die aus dem Weinberg kommen. Das heißt, dass wir weder die Trauben mit Schwefel behandeln, noch einen „pied de cuve“, einen Hefeansatz machen und damit alle Weine „impfen“. Terroirvinifikation heißt, dass der Most, der aus der Kelter kommt, ins Fass gelegt wird, und dann warten wir, bis er anfängt zu gären. Basta!
Wichtig ist, dass der Wein möglichst lange auf der Hefe liegt. Das unterstützt den Terroircharakter. Wobei, ich habe gar keine Lust, immer wieder zu beweisen, dass das alles richtig ist. Klar, dass viele Leute mir gar nicht glauben, dass ich das alles so mache. Ich habe schon in Diskussionsrunden mit Professoren gesessen, die mir sagten, so kann man keine Weine machen, wir glauben Ihnen das nicht. Was soll ich denn da noch sagen?
enos: Wenn aber wieder die individuelle Handschrift zählt, dann könnte ja auch einer kommen, seine Weine mit Hefen und Enzymen pushen und dem Verbraucher erzählen: Riecht gut, schmeckt gut, ist Röttgen. Was macht der Verbraucher?
Löwenstein: Der steht dumm da. So ist das. Aber! Wenn wir langfristig glaubhaft Einzellagen vermarkten wollen, dann brauchen wir solch ein Gentlemen‘s Agreement der Produzenten. Eine Basis, eine gemeinsame Richtung. Das haben wir bei uns im Dorf ja durchdekliniert und die drei Sub-Appellationen des Röttgen in Brüssel als geschützte Herkunftsbezeichnungen angemeldet.
enos: Wurden die schon anerkannt?
Löwenstein: Da hängt’s noch an Formalien. Aber weil wir, wie bei jeder Appellation controllée, Angaben machen mussten, was die erlaubten Produktionsmethoden angeht, haben wir zum Beispiel in den Antrag geschrieben, dass die so genannten neuen önologischen Verfahren verboten sind.
enos: Da besteht dann Konsens in der Gemeinschaft?
Löwenstein: Das war der Konsens der sechs „wichtigsten“ Winzer im Dorf. Und wir haben auch reingeschrieben, dass es keinen Uhlen Kabinett und keine Uhlen Spätlese geben darf.
enos: Also, um noch einmal auf einen Punkt vom Anfang zurück zu kommen: Das Wichtige am Terroirwein gleich welcher Variante wäre dann, dass es auf keinen Fall ein Industriewein sein kann.
Löwenstein: Klar. Wobei ich absolut nichts gegen Industriewein habe. Ich bin der Meinung, dass auch arme Leute Wein trinken sollten. Ich habe auch nichts dagegen, wenn die Weinindustrie eine Super-Cuvée macht und die für 100 Euro die Flasche verkauft. Aber sie soll für diese Weine keine Bezeichnungen verwenden dürfen, die normalerweise mit Weinkultur assoziiert werden. Und die Lage ist das Einzige, was für mich bezeichnungsmäßig von Weinkultur noch Bestand hat. Die Rebsorte kann man vergessen. Übrigens: In meiner Familie, die seit 500 Jahren Wein macht, stand 1974 / 75 zum ersten Mal das Wort Riesling auf einem Etikett. Und das auch nur, weil es damals die Flurbereinigung gab, und die Winzer plötzlich alle möglichen Rebsorten ausgepflanzt haben. Da gab es dann Spät- und Auslesen aus Ortega und den ganzen Mist. Aber ich mache keinen Riesling, ich mache Uhlen. Und Röttgen. Wie die Franzosen. Die Welt ist voller Chardonnay, aber wenn du einen Corton Charlemagne trinken willst, trinkst du eben Corton Charlemagne.
Dieser Artikel wurde zuerst in enos 2/2016 veröffentlicht.
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