Das Schild auf dem Grat der Hügel unweit Spielfelds im Tal der Mur macht für einen Moment unsicher. „Erlaubt nur für Bürger der SLO und A“, bescheidet es in bescheidenem Deutsch und bezieht sich wohl auf den Grenzübertritt von Österreich nach Slowenien, der – Schengen hin, offene Grenzen her – an dieser Stelle nur Menschen der genannten Nationalitäten gestattet ist. Das Problem: Wer das Schild, von Slowenien aus kommend, liest, hat die Grenze längst überschritten und sieht es erst, wenn er, einmal in Österreich gelandet, zurückblickt, um den schönen Ausblick über die Weinberge beider Länder zu genießen. Wir sind in der Steiermark, genauer gesagt in der Südsteiermark, und das Grenzschild steht für eine der verworrensten Grenzbeziehungen, die Europas Weinbau in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat. enos fuhr in die steirischen Hügel und sprach mit Protagonisten dieser komplexen und komplizierten Geschichte.
Es waren schwierige Zeiten. Alois Gross, einer der renommiertesten Winzer der österreichischen Südsteiermark und Besitzer eines halben Hektars jenseits der Grenze, erinnert sich noch gut. „Österreichische Besitzer von Grund und Boden im damals noch kommunistischen Jugoslawien mussten sich vor jedem Grenzübergang mithilfe eines grünen Ausweises beim slowenischen Militär anmelden. Inklusive einer Liste aller Mitarbeiter, aller Fahrzeuge, Maschinen und Materialien, die sie mit sich führten. Es gab zu jener Zeit keinen Stacheldraht, aber wer unerlaubt auch nur drei Schritte über die Grenze machte, riskierte, sich im Gefängnis wiederzufinden.“ Immerhin war es Österreichern allerdings selbst in den finstersten Jahren des Kalten Krieges erlaubt, Weinberge im „feindlichen“ Jugoslawien zu bewirtschaften. Und dafür immer wieder die Grenze zu passieren.
„Historischer Doppelbesitz“, so lautet die Bezeichnung, hinter der sich die auf das Ende der habsburgischen Doppelmonarchie „Österreich-Ungarn“ zurückgehende politische Einheit von Steiermark und der damals so bezeichneten „Untersteiermark“, slowenisch Spodnja Štajerska, im schon 1180 von Friedrich Barbarossa geschaffenen Herzogtum Steiermark verbirgt. Der Erste Weltkrieg brachte 1919 mit dem Ende der Habsburger Herrschaft auch das der steirischen Einheit – die alte „Untersteiermark“ wurde dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, dem späteren Königreich und von 1945 an Sozialistischen Republik Jugoslawien zugeschlagen.
Aus zwei Teilen der historischen Region waren zwei Systeme, zwei feindliche, durch Mauern, Stacheldraht und Militärbataillone getrennte Welten geworden. Zwar hatte die jugoslawische Regierung in den ersten Nachkriegsjahren nicht nur die österreichischen Grundbesitzer in ihrem Herrschaftsbereich erst einmal enteignet, aber mit dem Abkommen von Gleichenberg zwischen Österreich und Jugoslawien wurde diese Enteignung 1953 faktisch wieder rückgängig gemacht, und der kleine Winzer-Grenzverkehr nahm seinen Lauf.
Es war, paradoxerweise, keine schlechte Zeit für den slowenischen Weinbau, erzählt Gross. „Zwar wurde nicht investiert. Das galt im Kommunismus als ‚unschicklich‘. Aber weil Trauben und Weine vom Staat zu diktierten Preisen aufgekauft wurden und weil slowenische Produkte – nicht nur Wein – in ganz Jugoslawien beliebt waren, war der Absatz garantiert. Man musste sich keine große Mühe mehr geben. Allerdings wurde die Lage auch, als sich in den 1990er Jahren der nach der Auflösung Jugoslawiens entstandene slowenische Staat langsam aus dem Weingeschäft zurückzog, nicht wirklich besser. Statt der Funktionäre herrschten jetzt die ‚Leichenfledderer‘: Investoren, die staatliche Subventionen in Höhe von bis zu 80 Prozent der Investitionssummen einstrichen, die Betriebe ausplünderten und sich dann wieder zurückzogen.“
Auch auf der österreichischen Seite der Grenze hatte man es sich lange Zeit einfach gemacht. Die Trauben aus slowenischen Weingärten wurden gern zusammen mit denen der österreichischen zu steirischem Qualitätswein gekeltert, eine Praxis, die dann jedoch mit dem Beitritt Sloweniens zur EU 2004 zumindest auf dem Papier ein Ende fand, genauer, illegal wurde.
Im Prinzip jedenfalls. Denn auch nach dem Beitritt waren ganz legale Ausnahmen vom strikten Verbot noch möglich, wie Anna Gamser, die stellvertretende Vorsitzende des Vereins der „historischen Doppelbesitzer“ erinnert. Die Südpfalz mit dem grenzüberschreitenden Weinbau ins französische Elsass oder auch das italienische Collio mit dem benachbarten slowenischen Goriška brda sind prominente Beispiele. Aber auf eine solche Ausnahmeregelung auch für die Steiermark zu hoffen, bedeutete, die sprichwörtliche Rechnung ohne den Wirt zu machen, einmal ganz davon abgesehen, dass, wie sich der Bio-Winzer und Obmann des Vereins, Jakob Dorner, erinnert, „wir für eine Klage wegen Ungleichbehandlung 10.000 Euro für Anwälte hätten in die Hand nehmen müssen, die wir nicht hatten.“
Gamser, sekundiert von Dorner, nennt es den Neidfaktor, Alois Gross und Sohn Johannes, der das elterliche Gut seit einiger Zeit verantwortlich führt, sprechen davon, für viele Winzer sei das Verbot der Verarbeitung slowenischer Trauben zu steirischen Qualitätsweinen Verrat gewesen. Verrat, begangen von Kollegen und der Politik. Gemeint ist der Widerstand gegen eine Anerkennung des Doppelbesitzes, eine Gleichstellung der Weine aus Besitz jenseits der Grenze mit Qualitätsweinen aus der österreichischen Steiermark. Solange die Verarbeitung slowenischer Weine legal oder, in späteren Jahren, geduldet war, war dieser Widerstand im Verborgenen geblieben.
Als aber als Folge des Verbots dieser Verarbeitung durch den EU-Beitritt Sloweniens, mehr noch, als im Gefolge der Flüchtlingskrise 2015 und der Corona-Pandemie 2020 die im Schengen-Raum eigentlich abgeschafften Grenzkontrollen – die eingangs erwähnten Grenzschilder zeugen davon – wiederbelebt wurden, der illegale Transport von Trauben über die Landesgrenze also nicht mehr möglich war, verschafften sich Neid und Widerstand Gehör.
Sie machten sich nicht nur unter Winzern breit, die, wie Gamser erklärt, selbst gerne slowenische Trauben zu österreichischen Qualitätsweinen gekeltert hätten, sondern auch unter jenen, die tatsächlich oder nur vorgeschoben eine Verwässerung steirischer Gewächse durch slowenische Massenware fürchteten. Und wurden durch die Tatsache verstärkt, dass mit dem Verbot die Bewirtschaftung slowenischer Flächen unrentabel geworden, die Preise für Trauben dieser Flächen ins Bodenlose gefallen waren, wie Alois Gross analysiert.
Der Widerstand hatte zur Folge, dass Versuche der „historischen Doppelbesitzer“, Ausnahmeregelungen zu erwirken, scheiterten, scheitern mussten. Das nicht etwa, weil die EU auf Einhaltung ihrer Regeln gedrungen hätte, sondern vor allem, weil eine solche Ausnahme von den regionalen wie auch von der nationalen österreichischen Weinbaukommission blockiert wurde. „Es hat keinen Widerstand aus Brüssel gegeben, und nur wenig aus Wien. Ganz viel dagegen aus der Region selbst, und als die Region dagegen war, musste halt auch Wien kontra geben“, erinnert sich Jakob Dorner.
Da half es auch nicht, dass sich die „historischen“ Doppelbesitzer – Winzer, deren slowenische Rebflächen mindestens seit 1953, dem Jahr des Gleichenberger Abkommens, im Besitz der Familie oder von ihr gepachtet gewesen sein müssen – schon bald nach dem Krieg zusammenschlossen hatten. Zumal diese – die Kritik kommt von Vater und Sohn Gross – streckenweise nicht nur „unklug agierten“, sondern auch nach anfänglichem Elan ihre Vereinigung lange Jahre „schlafen“ ließen und sie erst 2010 – Anna Gamser spricht gar von 2015 – wieder zu neuem Leben erweckten, wie Jakob Dorner erzählt.
Den Weinbau jenseits der Grenze aufzugeben, kam dennoch für viele der Doppelbesitzer nicht in Frage, und das nicht nur für die älteren unter ihnen. Johannes Gross, dessen Bruder sich gleich vollständig nach Slowenien orientierte, wo die Familie ein eigenständiges 60-Hektar-Weingut erwarb, betont, wie wichtig der Doppelbesitzer-Status für ihn ist. Er erhalte jahrhundertealte Traditionen am Leben, verbinde die Narrative der beiden Nachbarländer, die ja noch vor dem Ersten Weltkrieg eine Einheit gebildet hatten. Weshalb es, so seine Einschätzung, vielen Menschen auch schwerfiele, Boden zu verkaufen. „Da steckt zu viel Tradition und Familiengeschichte drin, und dieser Prozess wird sicher noch eine oder zwei Generationen dauern“, glaubt er.
Gar nicht in Frage kommt ein Verkauf natürlich für Betriebe wie das Dorner’sche Bio-Weingut in Mureck, das, ganz in der Murecker Tradition, ausschließlich Rebflächen jenseits der Grenzen besitzt und deren Trauben auch in Slowenien verarbeitet und füllt. Auf Murecker Seite hat Jakob Dorner, wie alle Winzer des Ortes, „nur Äcker“, die allerdings wenigstens seinen Status als „Doppelbesitzer“ begründen. Ein solcher Schritt kommt umso weniger in Betracht, als auch ein Ankauf neuer Flächen in der österreichischen Steiermark keine Option darstellt: „Die geeigneten Lagen sind viel zu weit entfernt und der Boden viel zu teuer“, lautet Dorners Begründung.
Im Gegenteil. Nicht nur, dass nicht gerne verkauft wird, in Ausnahmefällen wird sogar noch slowenischer Boden zugekauft. So geschehen auch im Weingut von Starwinzer Manfred Tement bzw. seiner Söhne Armin und Stefan, das nur wenige Dutzend Meter von der österreichisch-slowenischen Grenze entfernt liegt. Obwohl auch sie eine „historische“ Kleinstfläche von einem Drittelhektar besitzen, betrachten sie sich nicht als „historische Doppelbesitzer“. Da es ihnen allerdings schon immer ein Dorn im Auge gewesen war, dass ihre Spitzenlage Zieregg nur zum Teil auf österreichischem Boden lag, kauften oder pachteten sie im Laufe der Jahre den 20 Hektar großen slowenischen Teil der Lage – hier Ciringa genannt – zu ihrem schon beträchtlichen österreichischen Besitz hinzu.
Dass die Tements, die „modernen“ Doppelbesitzer, die Trauben dieser Weine dennoch im österreichischen Keller verarbeiten und füllen dürfen, verdanken sie einer Ausnahmegenehmigung der slowenischen Behörden, die Jahr für Jahr neu eingeholt werden muss. Die Weine dürfen natürlich anschließend dann auch nicht als steirischer Qualitätswein verkauft werden, aber beim Renommee, das der Name Tement seit Jahrzehnten genießt, ist es offenbar nicht wirklich schwierig, sie unter slowenischem Etikett – hauptsächlich allerdings in Österreich, da die Tements nicht von der Tragfähigkeit des slowenischen Marktes und seiner Weinkultur überzeugt sind – zu verkaufen. Es ist eine spezielle Lösung, ein Stück weit eine Reminiszenz der „Blöcke“ des Kalten Krieges, die auch bei den historischen Chalets der Tement’schen Winzarei zur Anwendung kommt, deren Zimmer teils unter österreichischer, teils unter slowenischer Rechnungsadresse vermietet werden.
Ein Tement’sches Modell allerdings, gibt Anna Gamser zu bedenken, ist nur beschränkt für andere Winzer praktizierbar. Denn anders als im Falle der Lage Zieregg-Ciringa, wo mit Sauvignon blanc eine Rebsorte kultiviert wird, die unter diesem Namen auch im slowenischen Sortenregister eingetragen ist, findet man von den anderen Reben dort nur die slowenischen Bezeichnungen – nicht wirklich eine Hilfe bei der Vermarktung der Weine in Österreich.
Zum Glück fand sich dann aber letztlich doch eine Sonderregelung, von der alle österreichischen Besitzer slowenischer Rebflächen – für den umgekehrten Fall allerdings nicht – und „historischen“ Vereinsmitglieder profitieren können. Sie hört auf den zunächst wenig inspirierenden Namen „grenzüberschreitender Rebsortenwein“ und beinhaltet, dass steirische Winzer ihre slowenischen Weine bei der österreichischen Qualitätsweinprüfung anstellen können, diese dann allerdings unter dem Sonderlabel „historischer Doppelbesitz Steiermark Slowenien“ verkaufen müssen.
Das soll vor allem den Winzern helfen, die nur Trauben erzeugen oder die nicht die Möglichkeit etwa Anna Gamsers haben, ihre Weine direkt an Zimmergäste und Heurigenbesucher zu verkaufen, oder wie die Tements, einfach slowenische Etiketten zu verwenden. Ob dieser Kompromiss dann wirklich allen gerecht wird und der Idee eines Europas ohne Grenzen entspricht, bleibt dabei letztlich eine Frage ohne Antwort.
Dieser Artikel wurde zuerst in enos 4/2021 veröffentlicht.
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