Es waren noch anderen Zeiten. Damals, Mitte der 1980er Jahre. Ich war gerade erst von Paris nach Rom übersiedelt, und man hatte mir von einem berühmten Weingut in der Toskana erzählt. Biondi-Santi hieß die Familie, der es gehörte, und eine Telefonnummer gab es auch.
Mit Zug und Bus war ich schließlich im kleinen Bergstädtchen Montalcino, der Heimat des Renommier-Rotweins Brunello, angekommen, hatte auch gleich eine Bar mit Münztelefon gefunden, mit dessen Hilfe ich meine Ankunft ankündigte und um eine Wegbeschreibung zum Weingut bat. „Bleiben Sie, wo Sie sind, ich hole Sie ab“, beschied mich die Stimme am anderen Ende der Leitung, und wenige Minuten später hielt eines der legendären italienischen dreirädrigen „Ape“-Lastenmopeds vor der Tür der Bar.
Am Steuer ein distinguierter, älterer Herr, ganz toskanische Noblesse mit hellem Sommeranzug und eleganten Lederschuhen, der sich als Franco Biondi-Santi vorstellte. Biondi-Santi „himself“, die – so viel hatte ich schon gelernt – Brunello-Legende schlechthin. Bereits zwischen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts hatte Francos Ur-Urgroßvater Clemente Santi damit begonnen, die besten Reben seiner Weinberge zu selektieren und zu vermehren, eine Arbeit, die von Clementes Tochter Caterina und deren Sohn Ferruccio fortgesetzt wurde, und deren Resultat nach weiterer Selektion in den 1970er Jahren als Brunello-Klon (BBS 11) des Sangiovese, häufig auch Sangiovese grosso genannt, bezeichnet wird. Dass die Bezeichnug „Klon“ dabei nach deutscher Sprachregelung irreführend ist – es handelt sich vor allem bei den historischen Reben auf „Il Greppo“ in Wahrheit wohl nicht um eine klonale, sondern eher um eine Massen- oder massale Selektion, wie Franco Biondi-Santi beim Besuch erklärte – tat dem Ruhm der Rebe und ihrer Weine bis dato keinen Abbruch.
Lange blieben die Biondi-Santis die einzigen, die ihren Wein unter dem alten Namen Brunello vermarkteten, heute sind es über 100 Erzeuger in Montalcino und Umgebung, die vom Prestige des Namens und von seinem Status als DOCG-Wein – der höchsten Klasse des italienischen Weingesetzes – profitieren.
Weine aus den „Urzeiten“ des Brunellos zu verkosten, ist auch für Profis nichts Alltägliches, und so war die Gelegenheit, die die (seit 2016) neuen Besitzer des „Il Greppo“ boten – Franco Biondi-Santis Sohn Jacopo hatte das Weingut vielleicht auch als Folge ihres lange dauernden Familienzwists an die französische EPI(Européenne de participations industrielles)-Gruppe verkauft, zu der auch die Heidsieck-Champagner und Rémy-Cointreau gehören –, ausgewählte Altweine ins Glas zu bekommen, mehr als willkommen. Immerhin bis 1975 zurück reichte die Palette der alten Jahrgänge (ergänzt durch drei jüngere Ausgaben), die in der Hamburger Hanse-Lounge auf dem Tisch standen und die Klasse und Eigenwilligkeit der Greppo-Weine demonstrierten.
Anders als viele der „jüngeren“ Brunello-Erzeuger hatten die Biondi-Santis ja nie versucht, besonders krafvolle, vielleicht gar üppige Weine zu keltern, sondern das Augenmerk immer auf Eleganz und Langlebigkeit gelegt – eine Linie, welche die neuen Besitzer, eigenen Angaben zufolge fortführen wollen.