Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. So könnte das Fazit einer Reise lauten, zu der Gérard Bertrand, seines Zeichens ungekrönter Weinkönig des französischen Languedoc, eingeladen hatte. Es war auf den ersten Blick eine Einladung, um einen einzigen Wein kennenzulernen: einen Rosé mit dem schönen Namen „Clos du Temple“, für den, so beschied Google, in der Regel der stolze Preis von 200 Euro aufgerufen wird. 200 Euro pro Flasche, im Einzelhandel, nicht etwa in der Gastronomie, um gar nicht erst Missverständnisse aufkommen zu lassen.
Ein einziger Wein? Eigentlich kein Grund, eine solche Reise überhaupt in Erwägung zu ziehen. Andererseits: Der Preis machte schon neugierig. War der überhaupt ernst gemeint? Oder war das Ganze doch nur ein Scherz, „Fake News“ sozusagen? Nun, der Flug von Hamburg nach Toulouse jedenfalls war echt, das Weingut, zu dem es anschließend ging, offenbar auch. Verloren in den Hügeln um Cabrières, auf halbem Wege zwischen Montpellier und Narbonne, hatte Betrand dort, wie schnell zu sehen war, groß „anrichten“ lassen.
Das Ballett der Paradoxien konnte beginnen, und als überraschter Beobachter konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier der Versuch unternommen wurde, alle möglichen, eigentlich inkompatiblen Welten in einem einzigen Marketingmix zusammenzurühren. 200 hippe und weniger hippe Sommeliers aus aller Welt hatte Bertrand für seine große Show eingeladen, und die schienen das Ganze denn auch eher als schöne Sommerparty, denn als Informationsreise zu betrachten. Schickimicki-Lifestyle, wohin man schaute, von den durchsichtigen Pumps der Damen im Weinberg, bis zum stolz präsentierten Männertorso im Strandlokal - erlaubt war, was aussah.
Paradoxien vor allem beim Festdinner des ersten Reiseabends, das inmitten der Reben der Domaine du Temple abgehalten wurde: weißgekleidete Violonistinnen unweit des braven Maultiers, das als lebendiger Beweis der biodynamisch orientierten Weinbergsarbeit am Parcours der Besucher platziert worden war, fröhlich stimmender Rosé, der in Strömen floss, begleitet von an Dramatik nicht zu überbietender Hintergrundmusik – sogar der Wagner'sche „Ring der Nibelungen“ hätte hier perfekt gepasst – und als Kontrast zum naturverbundenen Anspruch in der Weinbergsarbeit ein High-Tech-Spektakel mit Lightshow und einem computergesteuerten Drohnenballett ... Es war die Welt der Paradoxien des Monsieur Bertrand.
Sommeliers bei der Arbeit oder Schickimicki-Lifestyle im sonnigen Süden?
So ganz nebenbei erfuhr der geneigte Besucher dann auch einige Details zum Wein des Abends: 15.000 Flaschen jährlich, erster Jahrgang 2018, ausschließlich aus Cinsaut-Trauben gekeltert, die auf Schiefer- und Kalkböden der einzigen reinen Rosé-Appellation des Languedoc wachsen. Was allerdings genauso wenig wie die popmpösen Spektakel die Frage beantwortete, ob der Wein seine 200 Euro wert sei.
Womit wir beim Wein, besser bei den Weinen wären, denn entgegen möglicher Befürchtungen ging es dann am Ende doch nicht nur um den einen Rosé, sondern um teilweise mehr als beachtliche Weine aus 14 der insgesamt 17 Weingüter des Bertrand'schen Imperiums. Bleiben wir zunächst beim Rosé. Ausgeschenkt wurden drei der Jahrgänge von 2019 bis 2022, die ausnahmslos gute Frische zeigten und für Rosés erstaunlich stoffig und strukturiert wirkten. Am komplexesten war der 2020er mit seinen leicht nussigen und vegetabil-kräuterigen Aromen. Während der 2022er mit etwas mehr Reife noch gewinnen dürfte, war der 2019er zwar noch frisch, wirkte aber weniger vielversprechend für die Zukunft.
Während die Weißen etwas weniger aufregend waren, zeigten die besten Roten große Klasse und versprachen auch Alterungsfähigkeit, allen voran der Minervois Clos d'Ora und der La Clape L’Hospitalitas, beide von 2020. Da war es dann auch noch einmal, das Preisschild "200 Euro", das jetzt am Clos d'Ora „klebte“ – nachvollziehbarer, wie viele der Gäste meinten, als im Falle des Clos du Temple.